Hier meine erste Geschichte, die nicht auf einem vorhandenem Werk basiert. Viel Spaß beim Lesen!
Würde mich auch freuen. wenn die dA-ler unter euch, hier vorbeischauen würden
Es war eine Nacht, an der niemand gerne vor die Türe ging. Schon den ganzen Tag über fiel der Schnee vom Himmel, mittlerweile war die weiße Decke knöchelhoch. Das Thermometer zeigte fünfzehn Grad unter null an, als sich Sybille den Schal umband. Ihr kastanienbraunes Haar schaute unter einer dicken Fellmütze hervor, ihre Hände steckten in gefütterten Lederhandschuhen. Und mit ihrer Winterjacke hätte sie auf eine Polarexpedition gehen können.
Eigentlich wollte Sybille ihre gut geheizte Wohnung gar nicht verlassen. Schon gar nicht um diese Stunde. Doch Charlie war es egal, was Sybille wollte. Er musst Gassi geführt werden. Charlie war Sybilles Golden Retriever und total liebes Kerlchen. Doch leider hatte er die etwas nervige Angewohnheit, zu den ungewöhnlichsten Tages- und Nachtzeiten seine Geschäfte verrichten zu wollen.
Sybilles Blick fiel auf die Uhr. Eine halbe Stunde vor Mitternacht. Die junge Frau schüttelte den Kopf. Eigentlich wollte sie schon längst im Bett liegen, denn morgen hatte sie ein Vorstellungsgespräch bei einer großen Anwaltskanzlei. Sie musste früh raus, um von dem verschlafenen Städtchen, das sie Heimat nannte, in die Großstadt zu fahren. Sybille war auf der Couch eingeschlafen und wollte gerade ins Bett gehen, als ihr Charlie ihr einen Strich durch die Rechnung machte.
„Charlie, komm!" Gemächlich trabte Charlie aus dem Wohnzimmer in den Gang, wo Frauchen bereits mit der Leine wartet. Als dieses jedoch sah, mit welchem Elan ihr vierbeiniger Mitbewohner auf sie zukam, entfuhr ihr ein genervtes Seufzen. So lieb der Golden Retriever auch war, so träge war er auch. Dabei war er noch keine 5 Jahre alt!
„Na, komm Charlie, beweg dich ein bisschen schneller. Ich muss ins Bett." Als der Hund endlich vor ihr stand, legte Sybille ihm die Leine an und öffnete dann die Wohnungstür. Die Wohnung der jungen Frau lag im ersten Stock, deswegen mussten die beiden zunächst die Treppen nach unten.
Sybille öffnete nach dem Abstieg die Haustür, hätte sie aber am liebsten sofort wieder zugeschlagen und wäre in ihr warmes Bett geflohen. Eine eiskalte Böe wehte ihr entgegen. „Uhh", kam es gedämpft unter dem Schal hervor, „So eine Kälte! Lass uns schnell machen, Charlie, sonst frieren wir uns beide noch zu Tode." Doch plötzlich schien der Hund überhaupt keine Lust mehr zu haben, Gassi zu gehen. An der Türschwelle stemmte er sich mit ganzer Gewalt gegen die Leine. Sybille hielt eisern dagegen. „Na komm! Du musst mal, jetzt komm gefälligst auch raus!" Mit einem letzten Ruck erstarb der Widerstand von Charlie. Widerwillig folgte er seinem Frauchen in die kalte und dunkle Nacht.
Schon nach wenigen Minuten war Sybille bis auf die Knochen durchgefroren. Der recht hohe Schnee verwandelte ihre Füße in Eisklötze. So eine Schneemenge war recht ungewöhnlich für das Städtchen.
Sybille hatte ihren üblichen Weg gewählt, den sie immer mit Charlie lief: von der Wohnung aus Richtung Rathausplatz und von dort dann in das Neubaugebiet Schönbrunn und wieder zurück. Für den Weg benötigte sie alleine eine gute halbe Stunde, doch mit Charlie zusammen kam sie nie vor einer Stunde nach Hause. Er bewegte sich nicht nur ziemlich langsam, sondern blieb auch an jeder Laterne, jedem Stromkasten und an jedem Baum stehen und schnüffelte ausgiebig daran. Manchmal brachte das Sybille echt auf die Palme und sie musste mit dem Hund schimpfen.
Doch nicht heute Nacht. Charlie lief zwar noch langsamer ala sonst, ja, Sybille musste ihn sogar mitziehen, aber er blieb keine Sekunde stehen. Den Schwanz hatte er zwischen die Hinterbeine geklemmt, die Ohren angelegt und der Kopf wandte sich von links nach rechts. Alles in allem war es ein seltsames Verhalten für den Golden Retriever.
Als Sybille und Charlie auf dem Rathausplatz ankamen, hatte der Schneefall wieder eingesetzt und es kam der Frau so vor, dass es noch kälter geworden war.
„Verflucht", murmelte Sybille, als sie sich über den Platz kämpfte. Sie konnte kaum mehr 10 Meter weit sehen, so stark schneite es nun. Dann ertönte ein Glockenschlag und die illuminierte Uhr des historischen Rathauses zeigte Mitternacht an.
Sybille begann nach dem letzten Gong mit den Zähnen zu klappern. Es wurde noch kälter, zumindest fühlt es sich für die Frau so an. Und auch das Verhalten von Charlie wurde immer seltsamer. Er wollte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren und winselte jämmerlich. „Charlie! Charlie, was ist denn?" Alle guten Worten nützten nicht, der Golden Retriever war nicht zu beruhigen. Und dann – mit einem kräftigen Ruck – riss sich Charlie los. „CHARLIE!" Bevor Sybille reagieren konnte, war ihr Hund schon in der dichten Schneewand verschwunden, die vom Himmel fiel.
„Charlie! Charlie! Komm zurück! Charlie!" Alles rufen half nichts, Charlie kehrte nicht zu seinem Frauchen zurück. „Wieso muss das ausgerechnet heute geschehen?" Sybille schlang die Arme um den Körper und wollte sich gerade zur Suche aufmachen, als etwas äußerst merkwürdiges geschah: die Straßenlaternen, die rings um dem Rathausplatz für Licht sorgten, begannen urplötzlich zu flackern und gingen dann komplett aus. Auch die Uhr wurde nun in Schwarz getaucht.
Sybilles Herz schlug schneller. Was war hier los? Die Lampen waren erst letztes Jahr aufgestellt worden! Sie durften nicht schon kaputt sein! Und vor allem nicht alle gleichzeitig! Die junge Frau drehte sich um die eigenen Achse, in der Hoffnung irgendetwas oder irgendwen erkennen zu können, doch der dichte Schneefall in Verbindung mit dem Neumond raubte ihr fast komplett die Sicht.
Sie wollte nur noch zurück in ihre Wohnung. Charlie war ihr jetzt egal. Sybille war keine ängstliche Frau, aber das, was sich auf dem Rathausplatz abspielte jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Und ihr war sowieso schon kalt! Sie versuchte sich zu orientieren, doch es ging einfach nicht. Der Platz lag dunkel da, der Schnee fiel ihn großen Mengen, sie wusste nicht wo sie stand und wo es nach Hause ging. Also lief Sybille einfach los.
Drei Schritte war sie gelaufen. Drei Schritte durch den knöchelhohen Schnee, als ein entsetzliches Jaulen ihr den Atem stocken ließ. Charlie!, dachte sich Sybille und machte kehrt, denn das Geräusch kam aus ihrem Rücken. Doch hinter ihr stand plötzlich ein fremder Mann!
Sybille prallte entsetzt zurück. Von wo ist der Mann auf einmal aufgetaucht? Als der erste Schrecken überwunden war, betrachtete sie den Fremden näher. Er hatte ein schmales Gesicht und kurze sehr helle blonde Haare, so hell, dass sie fast weiß schienen. Seine Hautfarbe war – soweit es Sybille erkennen konnte – ebenfalls ziemlich hell. Der Fremde trug einen langen schwarzen Mantel und schwarze Lederhandschuhe. Von seiner rechte Hand tropfte rotes Blut in den Schnee. Sybille machte einen großen Schritt nach hinten.
„W...Wer sind Sie?", verlangte Sybille zu wissen. „Wer ich bin?" Die Stimme des Fremden floss wie Honig in das Ohr der jungen Frau. „Das tut nichts zur Sache, meine Liebe."
Trotz der sanften Stimme des Fremden bekam es Sybille mit der Angst zu tun. Wer war er und warum hatte er Blut an seinem Handschuh? Der Fremde schien ihren Blick zu bemerken. Mit einem unschuldigen Lächeln hob er die Hand und betrachtete den blutigen Handschuh mit großer Faszination in den Augen. „Das? Das ist das Blut deines Hundes. Ich habe ihn getötet."
Seine Worte klangen freundlich und ruhig, doch deren Inhalt versetzte Sybille in Angst und Schrecken. Sie hätte den Fremden fragen können, ob er das ein dummer Scherz sein soll, doch instinktiv wusste die junge Frau, dass es purer Ernst war. Also nahm sie die Beine in die Hand. Sie musste die Polizei verständigen. Es lief ein gemeingefährlicher Killer durch die Gegend.
Sie rannte und rannte, immer schneller durch den Schnee und die fallenden Flocken. Die Kälte war nun kaum mehr auszuhalten, kroch unter Jacke und Handschuhe und ließ die Glieder steif werden. Das Rennen fiel Sybille zunehmend schwer. Und dann verlor sie endgültig den Halt, als sie über etwas zu ihren Füßen stolperte. Der Aufprall war nicht so weich, wie Sybille es erhofft hatte, denn der Schnee war schon ziemlich hart gefroren.
Ächzend richtete sich Sybille auf. Über was war sie gefallen? Mit zusammengekniffenen Augen suchte sie den Boden ab, erkannte zunächst nichts.
Doch dann sah sie es. Oder besser gesagt: ihn. „Charlie!" Entsetzt schlug Sybille die Hände vors Gesicht. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sah, was der Fremde ihrem treuen vierbeinigen Freund angetan hat.
Charlie lag bereits unter einer stattlichen Schneedecke begraben, doch Sybilles Sturz hat ihn wieder ein wenig freigelegt. Ihr bot sich ein grausiger Anblick. Der Kopf des Golden Retrievers war um 180 Grad nach hinten verdreht, die Bauchhöhle war aufgeschlitzt und die Gedärme im Schnee verteilt. Tiefrotes Blut hatte den Schnee um die Leiche von Charlie rot verfärbt. Sybille konnte den Anblick nicht länger ertragen. Würgend erbrach sie sich in den Schnee.
„Er war ein schönes Tier." Zu Tode erschrocken warf sich Sybille herum. Der Fremde! Völlig unerwartet war er hinter ihr aufgetaucht. „Bleiben Sie weg von mir!", keuchte Sybille entsetzt und kroch auf allen vieren rückwärts von dem Fremden weg.
Dieser ließ sich von den Worten der Frau nicht beeindrucken, sondern ging gemessenen Schrittes auf Sybille zu, die immer weiter nach hinten kroch. „Hab keine Angst", säuselte der blonde Mann, „ich will dir nichts tun." Unter normalen Umständen hätte Sybille ihm sogar geglaubt, doch nach dem sie Charlie gesehen hatte, war sie sicher, dass sie das nächste Opfer sein sollte.
Erst jetzt bemerkte Sybille, dass die Augen des Fremden blau in der Nacht glühten. Was war er? Das Herz schlug ihr bis zum Hals, die Angst legte sich wie kalte Klaue über ihren Geist. Dann stieß sie mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Das Rathaus stand hinter ihr und versperrte ihr den Fluchtweg.
„Endstation, meine Liebe." Der Fremde klang fröhlich und lächelte heiter. Er zog seinen rechten Handschuh aus, der verkrustet war von Charlies Blut. Zum Vorschein kam eine Hand mit Klauen, wie bei einem Tier. Vor der vor Angst starren Sybille ging der Fremde in die Knie. „Keine Angst, es wird schnell vorbei sein."
Sybilles Atem ging stoßweise. Die extreme Kälte ging von dem Mann aus, wie sie erst jetzt bemerkte. Sie konnte sich nicht mehr rühren, erste Zehen und Finger begannen zu gefrieren. Als er mit der Hand über ihre Wange strich, legte sich ein eisiger Film über ihre Haut. Sybille schrie ob der brennenden Berührung auf. Die Hand des Fremden wanderte über ihren Arm, den Bauch bis in den Schoß. Nicht nur die Haut, auch ihre Organe wurden von der kalten Berührung in Mitleidenschaft gezogen. Ihr Herz schlug langsamer, ihr wurde ganz schummrig.
Die Welt drehte sich um Sybille. Sie sah, wie der Fremde den Mund aufriss und ein Raubtiergebiss zum Vorschein kam. Den Biss spürte sie schon gar nicht mehr. Nur als ihr plötzlich wieder warm wurde, lichtete sich Sybilles Trance. Sie sah an sich herab. Ein roter Sturzbach lief ihr aus dem Hals hinab auf die Kleidung. Das war das letzte, was Sybille sehen sollte, bevor ihr gefrorenes Herz endgültig aufhörte zu schlagen…