So, hier die Fortsetzung zu "Blutroter Schnee"! Ich möchte Serena fürs Gegenlesen danken und für die Verbesserungsvorschläge
Die dA-User unter euch finden das Werk zudem hier: http://jagifederschwung.deviantart.com/ ... -322556380
Viel Spaß dabei
„Ein wirklich unschöner Anblick." Dr. Maier schob den steifgefrorenen Kopf nach hinten, um die Wunde an der Kehle genauer zu besehen. Es war ein gewisser Kraftaufwand nötig hierfür nötig, doch nichts, was der junge Mediziner nicht schaffen konnte. „Es sieht so aus, als wäre ihr die Kehle von einem wilden Tier herausgerissen worden. Man kann deutlich Bisspuren erkennen und ein großer Teil des Halses fehlt." So etwas hatte der erfahrene Gerichtsmediziner in seiner gesamten Laufbahn noch nicht gesehen. Als er heute Morgen an den Tatort bestellt wurde, hatte Dr. Steffen Maier einen gewöhnlichen Mord erwartet. Doch an diesem Fall war nichts gewöhnlich.
„Ein wildes Tier? Was für ein Tier greift denn junge Frauen an und tötet sie? Und das mitten in Deutschland? Sie müssen sich schon was Plausibleres ausdenken, Doc." Dr. Maier drehte den Kopf und entdeckte hinter sich Kommissar Horst Trokowski. Der Polizist sah aus, als wäre er einem alten amerikanischem Krimi entsprungen: schlecht gebundene Krawatte, zerknitterter Trenchcoat und im Mundwinkel eine Zigarette. Im Vergleich zu dem gut angezogenen Doktor wirkte Trokowski ziemlich lächerlich. „Ist Ihnen nicht kalt, Herr Kommissar?", wollte der Gerichtsmediziner wissen, als er den luftig angezogenen Ordnungshüter betrachtete. „Keine Angst, Doc", antwortete dieser grimmig lächelnd, „Ich hab mein Feuerwasser dabei." Aus einer Innentasche seines Mantels zog Trokowski einen Flachmann hervor und nahm einen kräftigen Schluck.
„Wissen wir schon, wer die Frau ist?" „Ja. Ihr Name ist…war Sybille Kleinfeld. 23 Jahre alt, wohnhaft in der Schlossallee 10." Trokowski zog an seiner Zigarette. Die Frau war übel zugerichtet, so etwas hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Vor lauter Blut auf ihrer Kleidung wäre dem altgedienten Polizisten das klaffende Loch in ihrer Brust fast nicht aufgefallen. „Was ist das denn Doc?" Mit dem Glimmstängel zeigte er auf die Wunde. Dr. Maier folgte der imaginären Linien zwischen Zigarette und der Leiche. „Ihr Herz wurde ihr entfernt. Herausgerissen triff es wohl eher. Sehen Sie die ausgefransten Wundränder? Das Organ wurde post mortem entfernt. Die Brust wurde ihr keinesfalls mit einem Skalpell oder einem Messer geöffnet. Hier waren andere Kräfte am Werk."
Kommissar Trokowski stieß einen verächtlichen Laut aus. „Wollen Sie mir weismachen, dass der jungen Frau von einem Tier erst die Kehle und dann das Herz herausgerissen wurde? Machen Sie sich nicht lächerlich!" Der Gerichtsmediziner zuckte mit den Achseln und erhob sich dann aus dem Schnee, der sich in der letzten Nacht unterschenkelhoch aufgetürmt hatte. Es war einer der schlimmsten Winter, die je über diese Region hereingebrochen war. „Genaueres kann ich erst nach der Obduktion sagen, Herr Kommissar. Im Moment bleibe ich bei meiner Bestien-Theorie, wenn Sie erlauben."
„Wie Sie meinen, Doc. Packt sie ein!" Mit einem Nicken wurden die Gehilfen des Doktors herbeigerufen, um die Leiche der Frau in die Gerichtsmedizin zu transportieren. Das gestaltete sich allerdings recht schwierig, da der tote Körper durch die Kälte völlig steifgefroren war. Es kostete schon große Kräfte, die Leiche von der Rathausmauer zu lösen. Auf die Trage konnte man Sybille nicht legen, also wurde sie hingesetzt. Die ganze Aktion gab ein völliges skurriles und makabres Bild ab. Doktor Maier war froh, als sich die Türen des Leichenwagens endlich hinter der Bahre schlossen. „Ich fahr bei Ihnen mit", sagte er in Richtung Trokowski. Der abgehalfterte Kommissar zuckte mit den Achseln. „Wenn es sein muss. Ich will die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen." Zusammen stiegen die beiden Männer in einen alten Renault und folgten dann dem Leichenwagen über den mittlerweile wieder einigermaßen freigeräumten Rathausplatz.
„Obduktion von Sybille Kleinfeld, 23. Todesdatum: 18. Dezember 2012. Todeszeitpunkt: aufgrund der extrem niedrigen Temperaturen lässt sich der Zeitpunkt nicht genau feststellen. Der Tod ist ungefähr zwischen Mitternacht und 4 Uhr morgens eingetreten. Dem Opfer wurde die Kehle herausgerissen, die Wundränder deuten auf Bissspuren hin. Vermutlich wurde ein Hund oder ein anderes Tier abgerichtet, die Frau anzufallen. Des Weiteren wurde ihr post mortem das Herz entfernt. Die Wunde in der Brust weist ähnliche Spuren auf, jedoch kann hier nicht von einem Biss ausgegangen werden. Die Todesursache ist Verbluten." Doktor Sebastian Maier schaltete an dieser Stelle das Diktiergerät aus. Sein aktueller Befund war nicht anders als der, den er bereits am Tatort gestellt hatte. Trotz der brutalen Art und Weise, wie die junge Frau getötet wurde, hatte der Täter scheinbar keine Spuren hinterlassen.
„Was ist dein Geheimnis?" Dr. Maier sah der aufrecht dasitzenden Leiche ins Gesicht. Er wurde aus diesem Fall einfach nicht schlau. Wieder begutachtete der das Loch, welches in Sybilles Brust klaffte. Irgendetwas musste er übersehen haben. Aber was? Der Gerichtsmediziner rückte seine Brille zurecht und besah sich die Wunde ein weiteres Mal von nahem. Und tatsächlich: nun fiel ihm etwas auf, was ihm vorher entgangen war. Am linken Wundrand hing ein kaum sichtbarer Fremdkörper. „Na also", murmelte Dr. Maier, während er mit einer Pinzette seine Entdeckung aus der Wunde löste und dann zu seinem Mikroskop bugsierte. „Dann lass uns mal sehen, was wir hier haben." Durch den elektronischen Hightech-Apparat konnte der Doktor den Fremdkörper viel größer erscheinen lassen. „Sieht aus wie…ein Stück eines Fingernagels." Allerdings schien das Nagelfragment schwarz zu sein. Und menschliche Nägel waren nicht schwarz. Es sei denn, sie wurden lackiert. Jedenfalls würde das Fragment ausreichen, um einen DNA-Abgleich zu starten. Dr. Maier legte es deshalb in ein kleines Plastik-Döschen, um es später ins Labor zu bringen. Dann setzte er die Obduktion fort, in der Hoffnung, noch mehr über den mysteriösen Mord herauszufinden.
Während sich Dr. Maier mit dem toten Körper von Sybille beschäftigte, grübelte Kommissar Trokowski zwei Stockwerke darüber ebenfalls über den Fall nach. Bei schwierigen Fällen half ein guter Scotch dabei, dass die Gehirnzellen in Fahrt kamen und er sich besser auf den Fall konzentrieren konnte. Doch heute wollte sich dieses Gefühl nicht einstellen. Draußen herrschte bereits tiefste Nacht und auch der Schneefall hatte wieder eingesetzt. In den Mauern des Polizeireviers war es hingegen mollig warm, der Scotch des Kommissars tat sein Übriges.
„Wer hat dir das nur angetan?" Nachdenklich starrte Trokowski auf die Tatortfotos. Sie zeigten Sybilles Leiche, wie sie an der Rathauswand lehnte. Es gab für ihn keinen Sinn. Die Verletzungen waren sehr ungewöhnlich und deuteten in keinster Weise darauf hin, dass ein Mensch für das Ableben der jungen Frau verantwortlich sein könnte. Doch wer oder was konnte sonst für so eine Tat verantwortlich sein? War es wirklich das Werk einer wilden Bestie, wie der Doktor es bereits vermutet hatte? Trokowski wollte nicht daran glauben. „Es muss doch eine logische Erklärung geben dafür geben…"
„Auch die Logik hat Grenzen, werter Herr Kommissar." Wie von der Tarantel gestochen sprang der Polizist von seinem Stuhl auf. In seiner Bürotür war plötzlich ein ihm völlig fremder Mann aufgetaucht. Der Fremde trug einen langen schwarzen Mantel und war auch sonst völlig in dieser Farbe gekleidet. Dadurch wirkte sein heller Teint noch blasser und seine hellblonden Haare fast weiß. Am auffallendsten waren jedoch die blauen Augen, die im Zwielicht von Trokowskis Büro regelrecht zu glühen schienen. „Wer sind Sie?! Und wie sind Sie hier hereingekommen? Das Revier ist schon lange geschlossen!" Die Hand des Kommissars ruhte am Pistolenhalfter an seiner rechten Hüfte. Er war vielleicht angetrunken, doch wie man schoss hatte er nicht vergessen.
„Ich bin natürlich durch die Eingangstür gekommen, wie es sich für einen unbescholtenen Bürger gehört", antwortete der Fremde mit einem Lächeln, das Trokowski eine Gänsehaut verpasste. „Bedauerlicherweise war sich einer Ihrer Kollegen sicher, dass ich keinen Zutritt zu diesem Gebäude hätte. Selbst meine besten Argumente konnten ihn nicht überzeugen, also sah ich mich gezwungen ihn zu töten." Der Fremde hob die rechte Hand und betrachtete mit fasziniertem Blick einen roten Klumpen, der sich darin befand.
Kommissar Trokoswki brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass es sich bei dem Klumpen um ein menschliches Herz handelte. Zudem wurde ihm erst jetzt klar, was der Fremde da gerade gesagt hatte. Einen Mord hat er gestanden! Und es war ein Polizist, den er auf dem Gewissen hatte. Der Kommissar zog seine Waffe, eine Glock 20 und richtete sie auf den Killer. Dieser schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen, sondern besah weiterhin das herausgerissene Herz. „Was wollen Sie hier?! Haben Sie etwas mit dem Mord an Sybille Kleinfeld zu tun? Ich will Antworten und zwar auf der Stelle!"
Endlich löste der Mörder seinen Blick von der blutigen Trophäe. Trokowski kam es so vor, dass es just in diesem Augenblick um einige Grade kälter in seinem Büro wurde. „Sybille Kleinfeld? Hieß das Mädchen so? Ein schöner Name. Ja, ich bin für ihren Tod verantwortlich. Und sie ist es auch, die mich hierher geführt hat. Ich lass ungerne eine Sklavin zurück."
Der Kommissar war schockiert, mit welch einer Seelenruhe der Fremde den schrecklichen Mord gestanden hatte. Doch der Part mit der Sklavin verwirrte den Polizisten. „Sklavin? Von was reden Sie eigentlich, verdammt!" Der Fremde näherte sich nun Trokowskis Schreibtisch. „Halt! Einen Schritt weiter und ich schieße!" Er machte noch einen weiteren Schritt, doch es fiel kein Schuss. Bis zum Tisch trat der Mörder vor und legte dann das Herz des ermordeten Polizisten darauf. „Haben Sie den Hund gefunden?", wollte er dann wissen.
„Hund? Welchen Hund?" Von was zum Teufel redete der Kerl da? Doch statt einer Antwort auf Trokowskis Frage sah der Fremde auf die Wanduhr. „Mitternacht. Meine Sklavin wird nun erwachen. Ihr Freund, der Herr Doktor, wird nun eine ungemütliche Überraschung erleben."
Die Uhr schlug Mitternacht. Ein Seufzen entfuhr Dr. Maiers Kehle. Er machte wieder Überstunden, dabei wollte er heute doch Weihnachtsgeschenke für seine Frau und seine kleine Tochter besorgen. Daraus wurde jetzt wohl nichts mehr. Zudem waren die Stunden, die er sich nun mit der Leiche beschäftigt hatte, pure Zeitverschwendung gewesen, denn seine Untersuchen hatten bis auf das Fingernagelfragment keine neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert. Der Gerichtsmediziner war ziemlich frustriert. Er wollte nur noch nach Hause.
Dr, Maier wusch sich gerade die Hände, als er bemerkte, dass es kälter in der Autopsie wurde. Sein Blick viel sogleich auf die Gefrierfächer, wo die Leichen aufbewahrt wurden. Hatte er eines der Fächer etwa offen gelassen? Doch die Stahltüren waren alle verriegelt. Woher kam aber dann diese Kälte? Dr. Maier sah sich genauer um. Nichts in dem Raum lieferte einen Hinweis über den Temperatursturz. Mit einem Achselzucken wusch sich der Gerichtsmediziner weiter die Hände. Er würde auf dem Weg nach oben dem Haustechniker Bescheid geben. Möglicherweise war etwas mit der Lüftung nicht in Ordnung.
Dr. Maier war schon fast an der Tür, die aus der Autopsie hinausführte, als er stoppte. Ungläubig blickte er zu Sybille Kleinfelds toten Körper, der immer noch in derselben Position verharrte, in der man ihn hereingebracht hatte. Doch das war schon das einzige, was noch normal an der Leiche war. Aus der Wunde in der Brust hatte sich ein eisblauer Kristall über den ganzen Körper verteilt. Wie eine feine Eisschicht lag er nun über Sybille. „Was zum Teufel ist das?" In seinem Gehirn schrillten alle Warnglocken, doch die Neugier des Wissenschaftlers überschallte sie alle. Langsam und vorsichtig näherte sich Dr. Maier der Toten.
Je näher er heranging, umso sicherer wurde sich der Doktor, dass die plötzliche Kälte von der Toten ausging. Doch wie konnte das nur möglich sein? Hierfür gab es keine wissenschaftliche Erklärung. War das Phänomen übernatürlichen Ursprungs? Dr. Maier besah sich die Leiche genauer. Bei der Kristallschicht handelte es sich wirklich um Eis. „Wie ist so etwas nur möglich?" Vorsichtig berührte er die vereiste Haut, schreckte jedoch augenblicklich zurück, da die Kälte unerträglich war. „Autsch!" Ein Geräusch ließ den Doktor sofort wieder verstummen. Langsam wanderte er mit seinem Blick vom Brustkorb der Toten nach oben, bis er ins Gesicht sah. Doch es war nicht das Gesicht, das Dr. Maier in Todesangst versetzte, sondern die Augen. Blauglühende Augen starrten ihn an. Augen, die bis vor wenigen Sekunden noch geschlossen waren. Er wollte schreien, doch da legten sich schon die eisigen Hände von Sybille um seinen Hals und hielten ihn wie in einem Schraubstock gefangen. Der Doktor sah noch ein raubtierhaftes Gebiss auf sich zukommen, dann schwanden ihm die Sinne.
„Der Doktor ist tot." Der Fremde sah nun wieder von der Uhr herab, die mittlerweile fünf Minuten nach Mitternacht anzeigte. „Meine Sklavin ist erwacht und hat bereits ihr erstes Opfer gefunden. Es wäre vermeidbar gewesen, wissen Sie, Herr Kommissar? Hätte niemand die Leiche gefunden und sie hierher gebracht, so hätte das Mädchen ihre Beute nicht in den Rängen der Polizei suchen müssen. Wirklich bedauerlich, dass es anders kam. Doch geschehen ist geschehen."
Die Pistole begann zu zittern. Lag es an der Wut, die Trokowski auf den Fremden hegte, an der Angst vor ihm oder an der Kälte, die sich immer stärker bemerkbar machte? „Sie verdammtes Schwein!" Dem Kommissar brannten nun die Sicherungen durch. Er richtete die Waffe auf den Fremden und drückte ab. Und dann nochmal. Und nochmal. Er drückte solange ab, bis ein metallisches Klicken ertönte. Das Magazin war leer. Fünfzehn Kugeln steckten in dem Körper des Mörders von Sybille, doch dieser machte keinerlei Anstalten zu sterben. Ein Projektil hatte ihn im Schädel getroffen. Blut rann ihm über die Stirn, schwarz wie die Nacht. Das Lächeln auf dem Gesicht des Fremden war nicht gewichen.
Kommissar Horst Trokowski ließ seine Pistole fallen. Klappernd landete die Waffe auf dem Boden. Der Polizist selbst fiel auf seinen Hosenboden, so schockiert war er ob des Anblicks, der sich ihm gerade eben bot. „W-was sind Sie?" Der Fremde kam näher. „Was ich bin, würde Ihren mickrigen menschlichen Verstand bei weitem übersteigen. Und selbst wenn Sie es verstünden, würde Ihnen dieses Wissen nichts mehr bringen. Denn was will ein Toter mit so einem Geheimnis anfangen? Doch Sie können beruhigt sein, denn nach Ihrem Tod werden Sie einen weitaus größeren Nutzen haben. Als mein Sklave." Langsam zog der Fremde seinen Handschuh an der rechten Hand aus. Es kam eine Klaue zum Vorschein. Nun verstand Trokowski, wie dieses Loch in Sybille Kleinfelds Brust kommen konnte. Doch es war unwichtig, denn er würde nicht mehr lange genug leben, um es jemanden mitzuteilen. „Leben Sie wohl, Herr Kommissar", flüsterte der Fremde und streckte seine Klauenhand in Richtung des Polizisten. Der Tod kam schnell und eiskalt. Die Nacht hatte wieder neue Opfer gefordert und es waren mit Sicherheit nicht die letzten.