Autor: Ashlyn
Genre: Psycho(thriller) / Drama (?)
Beschreibung: Der Hunger nach Zuneigung. | Ein Mann ist ganz besessen davon, jemandem etwas zu schenken.
Sehnsucht ist nicht mehr als ein leeres Wort.
Hoffnung ist nicht mehr als ein leeres Versprechen.
Begierde ist nicht mehr als ein sinnloses Verlangen.
Besessenheit ist mehr als diese Dinge zusammen.
Die Stimmen in meinem Kopf verstummten, als sie den Raum betrat. Keinerlei Regungen zeigte mein Körper, auch nicht, als sie sich mir näherte. Trotzdem sah sie mich nicht und ging geradewegs an mir vorbei.
Ausgezeichnet, dachte ich. Unter diesen Umständen konnte ich sie gewiss besser beobachten. Beobachten, wie sie ihr langes, dunkelblondes Haar von ihrem französischen Zopf befreite und es in geschmeidigen Wellen an ihrem Oberkörper hinunter floss. Sehen, wie sie lächelnd mit anderen Menschen ins Gespräch kam und höflich schmunzelte. Wenn sie ihren Mund verzog, sah er klein und spitz, aber trotzdem wohl geformt aus. Ihre Augen lachten zu jeder Zeit und strahlten eine gewisse Wärme aus, die bei jedem sofort einen sympathischen Eindruck hinterließ. Grübchen hatte sie keine, dafür aber leichte Fältchen, die ihre Fröhlichkeit nur noch unterstrichen und ihr ausgezeichnet standen. Sofort sah man ihr an, wenn sie einen schlechten Eindruck hatte, denn dann veränderte sich ihre Mimik und das Strahlen in den Augen wich dem jeweiligen Gefühl.
Natürlich hatte ich noch nie ein Wort mit ihr gesprochen, aber ich hatte sie genau studiert, sodass ich wusste, wenn ihr etwas gefiel und wenn ihr etwas missfiel. Zu jeder Zeit wünschte ich, dass ich bei ihr sein könnte, doch dieser Wunsch würde nie in Erfüllung gehen. Es wäre absurd und vollkommen irreal. Auch wenn es mich irgendwann umbringen würde, würde ich ihr folgen.
Mein Herz schlug nur für sie. Sie in ihrer völligen Vollkommenheit.
Ich verzehrte mich nach ihr; so stark, dass ich den Wunsch hatte, ihr etwas zu schenken. Natürlich etwas, was mir auch am Herzen lag und wovon sie noch lange etwas haben sollte.
Ich entschloss mich, sie zu besuchen.
Die Dunkelheit verschluckte sämtliches Leben, welches sich in unmittelbarer Nähe befand. In weiter Ferne konnte man kleine Lichter ausmachen, die allerdings nur für jene bestimmt waren, die sich in der Nähe aufhielten. Meine Augen huschten zwischen den Umrissen einzelner Häuser umher, bis ich es sah. Ihr Anwesen.
Schon unzählige Male hatte ich es beobachtet, doch nun würde ich es auch von innen betrachten können. Mein Engel wusste zwar noch nichts davon, aber sie würde sich zweifellos über mein Erscheinen freuen. Schließlich hatte ich ihr etwas mitgebracht, was sie niemals ablehnen würde können. Ärgerlicherweise wurden meine Hände feucht, was ich nicht mochte. Aber das konnte mich nicht von meinem Vorhaben abbringen.
Mein Herz pochte unablässig in meiner Brust, wohlwissend, dass es gleich zum Einsatz kommen würde. Der Vordereingang war zugeschlossen, weswegen ich den Weg durch die Kellertür nahm, welche glücklicherweise offen stand. Leise bahnte ich mir einen Weg durch den stockdunklen Keller, was mir allerdings nicht perfekt gelang, denn es war nicht der ordentlichste. Ständig stieß ich gegen seltsame Gegenstände und als ich endlich zur Treppe gelangte, wäre ich fast hingefallen. Zügig und doch vorsichtig folgte ich den Stufen, die zum eigentlichen Haus führten. Und endlich erreichte ich es.
Auch hier war es sehr dunkel, aber durch verschiedene kleine Lichtquellen war es angenehm und ich konnte mich in Ruhe umsehen. Die Küche war sehr ordentlich und in cremefarbenen Tönen gehalten. Auch das Wohnzimmer war in einem ähnlichen Stil möbliert. Desinteressiert von den übrigen Räumen wollte ich schließlich das Schlafzimmer ausfindig machen, welches im oberen Stock lag. Zum Glück war es gleich das erste Zimmer, was ich daran erkannte, dass die Tür offen war und leise Atemgeräusche durch diese drangen. So still wie ich konnte, schlüpfte ich durch den kleinen Spalt und hockte mich neben das Bett, während ich sie beobachtete. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Lippen waren leicht geöffnet. Völlig ausdruckslos hatte ich sie noch nie gesehen, was mir sehr gefiel, denn somit hatte ich etwas Neues an ihr entdeckt.
Sie.
Auf diesen Moment hatte ich so lange gewartet, dass ich fast vergessen hatte, was ich wollte. Vorsichtig legte ich mich neben ihr ins Bett und schloss sie schnell in meine Arme. Ich spürte, wie ihr Körper zuckte und sich schließlich immer mehr wand, als sie erkannte, dass jemand Fremdes in ihr Haus eingedrungen war. „Ruhig, mein Engel!“, sagte ich, „Ich tu dir doch nichts! Sei einfach still und lege dich auf den Rücken.“ Sie gehorchte nicht, aber ich hatte schon so etwas in der Richtung befürchtet. Hastig zog ich die Handschellen aus meiner Tasche und ließ sie fast fallen. Als sie endlich ruhig und gefesselt unter mir lag, rannen mir Tränen über das Gesicht. Endlich hatte ich sie für mich. Endlich.
„Ich habe etwas für dich, mein Engel“, flüsterte ich.
Ihr Gesicht hatte sich schmerzerfüllt zusammengezogen und doch sah sie so friedlich aus, wie in vielen meiner Träume. Ich spürte, dass mein Herz immer heftiger schlug, sodass ich ihr endlich mein Geschenk geben wollte.
Meine Hand glitt in meine Tasche und zog den Dolch heraus.
Mein Herz sollte ihr gehören; für immer.
Sonst würde es verhungern.
Leben für die Liebe.
Lieben für das Leben.
Sterben für die Liebe.
Lieben für das Sterben.
Oder doch ganz anders?