Rachedurst
Stevie Thomps und seine Frau Catherine führen ein glückliches Leben. Während sie ihrem Beruf als Sekretärin nachgeht, reitet ihr Mann als Jockey auf den verschiedensten Rennbahnen der Welt. Abseits der normalen Zivilisation lebend, geniesst das Ehepaar ein Leben in einer Luxusvilla auf einem verlassenen Hügel. Als Catherine eines Tages auf einen Anruf ihres Mannes wartet, bekommt sie stattdessen ein ganz anderes, makaberes Geschenk...
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Ich hatte mir schon immer Sorgen um meinen Mann gemacht.
Zwar gab es noch weit aus mehr gefährlichere Berufe als auf einem hochkarätigen Rennpferd auf einer Rennbahn zu reiten, doch konnte nur ein einziger kleiner Fehler zum Sturz und somit zum Tod führen. Schon oft waren solche Unfälle geschehen: Jockeys hatten für eine Sekunde das Gleichgewicht verloren, waren gefallen und von unerbittlichen Pferdehufen zertrampelt worden.
So wartete ich auch heute leicht nervös auf einen Anruf meines Mannes, der sich irgendwann gegen den Abend melden sollte.
Unschlüssig was ich bis dahin mit mir selbst anfangen sollte, wollte ich mich in das Wohnzimmer setzen, um etwas zu lesen und mich zu entspannen. Gerade als ich es mir mit einer guten Lektüre bequem machen wollte, klingelte es an der Haustüre. Einen Blick auf die Uhr verriet mir, dass es zehn Uhr morgens war.
Etwas verwundert trat ich hinaus an die Tür um sie zu öffnen. Ich hatte keine Ahnung, wer so frühmorgens etwas von mir wollte.
Lächelnd öffnete ich die Haustüre und blickte einem, mir unbekannten Postboten entgegen.
"Guten Morgen.", sagte ich freundlich.
"Guten Morgen, Ma`am. Wären Sie bitte so freundlich und würden sie hier unterschreiben?"
Er streckte mir einen Kugelschreiber und eine Zustellunsbestätigung entgegen und unterschrieb an vorgewiesener Stelle.
"Sind Sie neu?", fragte ich den älteren Herr nun und er nickte.
"Ja, heute ist mein erster Tag.", antwortete er, nahm mir die Bestätigung und den Kugelschreiber ab und drückte mir stattdessen ein kleineres Paket in die Hand.
"Hören Sie, das ist eine Sonderzustellung von ihrem Mann. Ich habe hier noch ein grösseres Paket für Sie, aber er sagte, Sie müssten unbedingt erst das kleine öffnen und dann das grosse, okay?"
"Okay, Sir. Vielen Dank."
Ich nahm ihm das zweite Paket ebenfalls ab, wünschte ihm noch viel Glück bei seiner neuen Arbeit und ging zurück in die Wohnung. Das grosse Paket war rund und unebenmässig. Es wog sicher um die sechzig Kilogramm. Ein leicht süsslicher, dennoch komischer Geruch ging vom ihm aus. Schwer atmend hiefte ich es auf den Küchentisch und fuhr mir kurz mit der Hand über die Stirn, um einzelne Schweisstropfen weg zu wischen.
Voller Vorfreude auf die Überaschung, welche mir mein Mann da bereitete, öffnete ich das erste Paket. Eine kleine Phiole mit stechend kirschroter Flüssigkeit kam zum Vorschein, eingehüllt in blauen Samt. Ebenfalls konnte ich eine kleine Karte mit Herz-Aufdruck endtecken, die ich sofort öffnete und las.
Hallo, mein Schatz,
ich weiss, in letzter Zeit sehen wir uns nicht allzu häufig. Und ich weiss, dass du dir Sorgen um mich machst.
Ich will es zu schätzen wissen, gibt es doch kaum einen schöneren Liebesbeweis.
Um dir meine Liebe ebenfalls zu zeigen, habe ich dir nun ein besonderes Geschenk in Form eines Parfums.
Es ist ein Duft, den ich persönlich ausgewählt habe, und ich würde mich freuen, wenn du ihn trägst, denn so
sind wir immer zusammen, auch wenn ich am anderen Ende der Welt bin...oder auch nicht.
Ich liebe dich.
Dein Stevie
Begeistert legte ich die Karte zur Seite und öffnete den Verschluss der kleinen Phiole. Ich spritzte mir etwas von der roten Flüssigkeit aufs Handgelenk, um erst an ihr zu riechen. Ein leicht metallischer Geruch stieg mir in die Nase, vermischt mit einem beissenden Geruch. Angewiedert rümpfte ich etwas die Nase und roch weiter an meinem Handgelenk, um sicher zu sein, dass ich mich nicht täuschte. Mit dem nächsten Schwall Duft, der mir in die Nase stieg, wurde mir leicht schwindlig.
Ich stützte mich am Tisch ab, doch das immer stärker werdene Schwindelgefühl wurde ich nicht los. Mit zittrigen Händen wollte ich die Phiole zurück auf den Tisch stellen, doch das kleine Fläschen rutschte mir aus den Fingern und landete mit einem Klirren auf den Fliessen des Marmorbodens, wo es in tausend kleine Scherben zersprang.
Das rote Parüm suchte sich seinen Weg zwischen den Scherben und breitete sich schnell auf den weisen Fliessen aus. Der Geruch des Duftes wurde immer stärker und sekundenlang flackerte ein schwarzes Bild vor meinen Augen auf. Vorsichtig sank ich zu Boden und kniff die Augen zusammen, atmete tief durch und versuchte die aufsteigende Panik in mir zu dämpfen. Mir wurde übel, alles in mir zog sich zusammen und ehe ich mich versah hatte mich die Ohnmacht eisern im Griff und ich sank auf den kalten Boden zusammen.
Als ich wieder aufwachte, drehte sich alles und für einen Moment lang sah ich meine Umgebung nur durch einen schwummrigen Vorhang.
Ich blinzelte einige Male, bevor ich alles wieder klar sah, und versuchte mich daran zu erinnern, was geschehen war, bevor ich ohnmächtig geworden war.
Die Phiole!, schoss es mir durch den Kopf und hektisch suchtend meine Augen den Küchenboden ab. Doch ich konnte nichts dergleichen sehen, auch die rote Flüssigkeit schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Verzweifelt raufte ich mir die Haare, denn der komische Geruch, der von der Flüssigkeit ausgegangen war, lag noch in der Luft, also konnte ich es mir nicht eingebildet haben.
Mein Blick fiel auf das rundliche, schwere Paket, welches immer noch auf dem Küchentisch lag und ich sprang auf. Etwas zu schnell, denn mein Kreislauf rebellierte und ich blieb kurz aufrecht stehen. Dann schritt ich auf das Paket zu und fasste sanft an die Oberfläche. Es war nicht das übliche Karton-Material, welches man zum Versenden von Paketen brauchte, sondern eher etwas Papierähnliches. Vorsichtig ritzte ich mit meinem Zeigefingernagel in das Papier und mit einem leichten Ratschen riss es.
Ich konnte nicht genau sehen, was darunter zum Vorschein kam, registrierte nur, dass der Geruch immer stärker wurde. Das süssliche wich langsam etwas anderem, etwas verdorbenem. Alles in mir sträubte sich dagegen, das Paket zu öffnen, doch trotzdem liess mich ein innerer Drang nicht in Ruhe.
Die Augen geschlossen griff ich dann aber mit beiden Händen in den eben erzeugten Spalt und riss das Papier nach links und rechts mit einem auf. Das wiederliche Reissgeräusch klang mir in den Ohren und der eklige Geruch nahm zu, löste in mir ein Würgegefühl aus. Vorsichtig öffnete ich die Augen und schrie gleichzeitig auf.
Ich stolperte nach hinten gegen die Küchenanrichte, hielt mich mit beiden Händen an ihr fest und schrie mir die Seele aus dem Leib, während sich meine Augen nicht von dem leblosen, abgehackten Kopf meines Mannes lösen konnten.
Hysterisch begann ich in meinen Schreianfall zu weinen, beugte mich sekunden später über das Abwaschbecken und erbrach mich heftig keuchend. Jede Faser meines Körpers brannte vor Schmerz, Trauer und Ungläubigkeit. Ich wollte nicht wieder hinsehen, doch automatisch tastete sich mein Blick zu dem weissen, erstarrten Kopf meines Mannes hinüber. Ich erstarrte, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung warnahm und jemand lautlos in mein Sichtfeld trat.
Der Postbote lächelte mich sadistisch an und zielte mit einer Waffe auf meine Brust.
"Was haben Sie nur getan?". schrie ich wütend und wollte mich auf ihn stürzen, doch das leichte Klicken der Pistole liess mich innehalten.
"Was ich getan habe, Catherine? Die Frage ist doch wohl eher, was sie und ihr Mann getan haben, nicht wahr?"
"Ich...ich weiss nicht, w-w-was Sie meinen.", antwortete ich mit zittriger Stimme und schluckte die bittere Galle hinunter, die mir hochstieg.
Er kam näher auf mich zu und ich wollte ihm ausweichen, doch er war schneller und packte mich mit einer raschen Bewegung. Er hielt mir die Waffe an den Kopf und drückte mit der linken Hand mein Gesicht in die Richtung des Pakets. Meine Augen weiteten sich, als ich den weiteren Inhalt genauer aussah, der offenbar aus weiteren Körperteilen meines Mannes und aus seinem Herz bestand. Erneut würgte ich und erbrach mich auf die weissen Fliessen. Der Postbote schüttelte missbilligend den Kopf und sagte dann:
"Wissen Sie, es ist schade, dass Sie sich nicht an mich erinnern, Catherine. Aber ich werde Ihnen mal ein wenig auf die Sprünge helfen: Erinnern Sie sich an den Juni vor zwei Jahren?"
Ich schluchzte auf und versuchte mich verzweifelt daran zu erinnern, was damals gewesen war. Das einzige, was mir in den Sinn kam, war der Unfall, den mein Mann damals auf der Rennbahn gehabt hatte. Er hatte aus Versehen bei einem Überhohl-Manöver ein gegnerisches Pferd angerempelt, welches zur Seite gestolpert war und gegen die Bande gekracht war. Das Pferd war bei diesem Unfall verstorben, während der Jockey seither mit einer einseitigen Lämung im Rollstuhl sass.
Damals hatte mein Mann die Rennbahnrichter mit einer hohen Summe Geld bestochen um seine Unschuld deutlich zu machen, denn normalerweise hätte ein solches Ereigniss zur sofortigen Entziehung der Jockey-Lizens geführt.
"Nun, ich nehme an, Sie erinnern sich jetzt?", fragte der Postbote und holte mich somit aus meinen Gedanken und in die nach Tod riechende Küche zurück.
"Ich verstehe nicht...", sagte ich leise. Wütend schlug mir der Mann mit dem Griff der Pistole über den Kopf und ich ging wimmernd vor ihm zu Boden.
"Ich denke, Sie verstehen es genau, Catherine, Sie wollen es nur nicht zugeben. Sie wissen, dass mein Name David Sander ist, Sie wissen, dass ihr Mann damals meinen Sohn Malcolm mit seinem Pferd auf der Rennbahn angerempelt hat. Und Sie wissen ebenfalls, dass mein bestes Pferd Fleur de la Campagne bei diesem Unfall verstorben ist und mein Sohn seither im Rollstuhl sitzt! Sie und ihr Mann sind Abschaum, Sie sind unschuldig davongekommen und leben weiter ihr Luxusleben, während unseres seither vorbei ist. Und dafür hat ihr Mann gebüsst und dafür werden auch Sie büssen!"
Der Lauf seiner Pistole richtete sich auf meinen Kopf und ich hob abwehrend die Hände.
"Nein...bitte...ich..."; flüsterte ich, doch David Sander kannte kein Erbarmen.
Vor der Villa flogen einige Raben aufgeschreckt von dem Knall in die Höhe und flogen in den orangfarbenen Abendhimmel davon.