Autor
Artemis Paradizo
Genre
Romantik
Anmerkungen
Nun ja, urteilt selbst.
Kommentare ausdrücklich erwünscht.
Der Wunsch, daß die Liebe irgendwohin führt, ist ein seltsames Verlangen der Menschen.
Victor Hugo, Die Elenden
Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.
Johann Wolfgang von Goethe, Werke - Hamburger Ausgabe Bd. 6, Romane und Novellen I, Die Wahlverwandtschaften
Wir stehen nebeneinander und beäugen verärgert den Motor des ältlichen BMWs. Ich habe keine Ahnung, was los ist, also werfe ich verstohlen einen Blick auf meinen besten Freund. Dessen konzentrierter und missbilligender Gesichtsausdruck lässt Belustigung in meiner Magengegend aufschäumen. Ganz offen grinse ich ihn an, doch in Gedanken versunken wie er ist, bemerkt er mich nicht.
Plötzlich hebt er seinen Blick und schaut mich verständnislos an.
„Was denn?“
Ich kichere nun los, sein resultierendes Stirnrunzeln amüsiert mich nur noch mehr. Dann entschärft sich seine Miene, er lächelt und öffnet den Mund, um irgendetwas zu sagen, doch ich bin schneller. Blitzartig zuckt meine geschlossene Faust hervor und trifft seinen entblößten, muskulösen Oberarm.
„Autsch!“, entfährt es ihm, doch auch er grinst nun.
„Komm, wir sind hier, um zu arbeiten!“, erinnere ich ihn spöttisch und wirbele herum, um unter dem hochgestemmten Auto zu verschwinden. Aus den Augenwinkeln fange ich noch einen seltsamen, unverständlichen Blick auf, doch schon nimmt die Unterseite der Limousine mein gesamtes Sichtfeld ein.
Schlaff liege ich da und starre die metallischen Formen über mir an. Schon dieser kurze, unkomplizierte Akt vorhin hat mir meine gesamte Kraft und mein Selbstvertrauen geraubt. Eiskalt und bedrückend lastet ein Stein auf meiner Bauchgegend.
Einst waren wir Freunde gewesen. Wir hatten zusammen getrunken, gefeiert und unsere Leidenschaft für Federball und Autos ausgelebt. Doch nun...
Ist es anders. Das ist eine so allumfassende und verhängnisvolle Wahrheit, dass mir schon wieder die Luft wegbleibt.
Es war einfach gewesen, mit ihm zusammen zu sein. Doch eines Tages brach etwas aus mir heraus, das ich nicht hätte voraussagen können.
Er sieht gut aus. Ist beliebt, lustig, interessant.
Ich erlag diesem Glanz vollkommen und unauslöschlich.
Seitdem wurde jede Begegnung schwieriger, denn es wurde jedes Mal schwieriger, mein innerstes Wesen unter Qualen zu unterdrücken.
Ein unmissverständliches Rumpeln kündigt sein Kommen an. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn schon steigt mir der inzwischen wohlbekannte Duft seines Lieblingsparfums in die Nase. Marke Dior. Ich kenne sogar den genauen Namen des Parfums und hasse mich dafür.
„Liegst faul herum, was?“
Ein weiterer Atemzug. Der Geruch vernebelt meine Gedanken, wie so ziemlich alles, was er tut.
„Ich muss mal eben auf Klo, bin gleich wieder da...“
Fluchtartig krieche ich unter dem Auto hervor und ziehe mich an einem herumliegenden Pappkarton hoch. Meine Garage verschwimmt leicht vor meinen Augen, als sich ein anderes Bild davorschiebt, das Abbild eines männlichen Gesichtes mit zwei anziehenden, schokoladenbraunen Augen.
Mehr taumelnd als gehend nähere ich mich dem Badezimmer und reiße verzweifelt die Tür auf. Ich stürze herein und starre in mein Spiegelbild.
Ich bin eher dünn als athletisch und begutachte verzweifelt mein Gesicht. Wenn ich wenigstens gut aussähe...
Schade, dass dem nicht so ist. Irgendetwas an meinen Zügen stört mich gewaltig, doch ich weiß nicht genau, was es ist. Die Farbe meiner Augen? Die Form meiner Nase?
Ich schließe die Augen und beruhige meinen Atem. Schließlich kann ich mich nicht ewig im Badezimmer verstecken. Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist, ich habe die Kontrolle zu schnell verloren. Mein Verdacht ist, dass mich der Anblick seiner entblößten Oberarme zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen hat, dass der makellose Schwung der trainierten Muskeln mich geschwächt hat.
Ich öffne die Augen und starre in mein Verhängnis.
In meiner Hast habe ich mir nicht einmal die Zeit genommen, die Tür hinter mir zuzuwerfen. Er ist mir gefolgt und starrt mich nun mitleidig an.
Was er wohl gerade denkt? Hasst er mich für meine Schwäche? Für meine Krankheit?
Ich zwinge ein wahrscheinlich künstlich wirkendes Lächeln auf meinen Mund und will mich an ihm vorbeidrängen. Doch er legt mir eine Hand auf die Schulter, woraufhin ich augenblicklich stehenbleibe, weil ich fürchten muss, dass mein Arm im nächsten Moment in Flammen aufgeht. Seine Hand findet ihren Weg zu meinem Nacken und zieht mich dann mit einer ungeahnten Zärtlichkeit auf ihn zu.
Was soll das?
Ich kann keinen zusammenhängenden Gedanken mehr fassen, ich kann keine Kontrolle zusammenkratzen, um laut aufzulachen und zu tun, als sei er verrückt geworden, denn anscheinend hatte sich mein Magen verselbstständigt und schlug wie ein wildes Tier um sich. In meinen Ohren pochte mein wilder Herzschlag ein unregelmäßiges Stakkato.
Ich stehe nun ganz nahe bei ihm, seine zweite Hand landet auf meiner anderen Schulter und ich muss fürchten, gleich in Ohnmacht zu fallen.
Seine Augen schließen sich und er schiebt seine volle Unterlippe verheißungsvoll vor. Auch ich schließe nun meine Augen und nähere aus völlig eigenem Antrieb mein Gesicht dem seinen.
In diesem einen Augenblick hat sich mein gesamter Körper absolut und unumkehrbar einem anderen Menschen ausgeliefert und begehrt gegen meinen rationalen Teil auf. Doch auch ich habe mich längst dem Unvermeidlichen gefügt.
Meinen tiefsten Wünschen, untrennbar in mich verwoben.
Mir fallen zwei Dinge auf.
Erstens: Meine vor Begierde glühenden Lippen hätten schon längst auf die seinen treffen müssen.
Zweitens: Der sanfte Druck seiner Hände ist verschwunden.
Ich hebe die Augenlider und werde mit der grausamen Realität konfrontiert. Ein wunderschönes Gesicht, nun seltsam entstellt durch eine unnahbare Kälte.
„Du schwule Sau.“
Die wunderbare Zauberwelt, die ich in der vergangenen Sekunde aufgetürmt habe, kracht nun mit vernichtender Endgültigkeit über mir ein.
Das Feuer in meinem Körper wird augenblicklich zu Eis. Eine eigenartige Taubheit erfüllt jede Zelle meines verhassten Leibes.
Ich fühle mich unsäglich dumm dafür, dass ich auf den offensichtlichen Verrat hereingefallen bin. Aus den Tiefen meines verdrehten Hirns sind also Gespenster geboren worden. Ich wollte es glauben, also tat ich es.
Obwohl er angewidert vor mir zurückwich und herumwirbelte, um mein Haus zu verlassen, komme ich nicht darum, den beiläufig eleganten, federnden Gang und das makellos eingespielte Spiel der Muskel zu bemerken. Jeder Schritt strotzt vor Kraft und Grazie.
Als schließlich auch der letzte Hauch seines Duftes aus meiner Nase schwindet, erwacht der Schmerz wie ein reißendes Tier. Ich fühle mich wie in der Mitte zerbrochen. Alles quillt aus dem gewaltigen Riss in meiner Brust und lässt nichts als wilde Agonie zurück. Pein erfüllt mein Denken und verdrängt alles andere. Röchelnd gehe ich in die Knie, als die Erinnerung an den mysteriösen ersten Blick aufsteigt. Ich hätte es wissen müssen.
Das letzte Bild vor meinen Augen, bevor mich der Selbsthass erstickt, lässt das Raubtier in mir rasen und blutige Wunden schlagen.
Seine zarte, rote, vorgeschobene Lippe, verführerisch und wunderschön.