Der Tanz des Todes
Knirschend schloßen sich die gewaltigen Torflügel hinter ihr und der Lärm der Schlacht verstummte jäh. Die Hand immer noch krampfhaft um das Heft ihres Schwertes geballt, rutschte sie das massive Eisentor entlang auf den Boden und vergrub das Gesicht in den Händen.Sie rang um Fassung, doch ihr Herz schlug gleich einem rasenden Trommelwirbel und sie hatte das Gefühl, sie müsse sich gleich übergeben. Ihre Gedanken waren so ungeordnet wie ein Ameisenhaufen und ihr Werkzeug, sie zu bändigen, war ein Sieb mit zu großem Durchlass. Ihr Kopf schien zu bersten und als sie meinte, die Kontrolle über ihr Innerstes zu verlieren, setzte sie sich auf, legte ihr Schwert vor sich auf den Boden und versenkte sich tief in ihren Geist.
Nur wenige Augenblicke später spürte sie die vertraute Stimme in ihrem Kopf und Frieden durchströmte sie: >> Manchmal definieren wir uns selbst als das, was wir sind, über das, was wir nicht sind. Meine liebe Tochter, Schlafende aufzuwecken ist keine Schande.<<
Ihr Körper entspannte sich wieder, und so ließ sie ihre Gedanken schweifen. Vor mehr als zwei dutzend Monden waren die Kämpfe ausgebrochen, gefolgt von Wochen der Angst. Abgeschlagene Gliedmaßen, zerstörte Familien, verlorene Träume. Sie hatte ihre Sippe verlassen, als sie das erste mal den All-Einen zu sich sprechen hörte, und in den Krieg zog, um das drohende Unheil abzuwenden, doch nach unzähligen Scharmützeln und Schlachten begann die Flamme in ihrem Herzen zu erlischen. Und nun war sie am Ende ihres Weges angekommen, Kraft- und Willenlos. Einen Moment noch genoß sie ihre Einheit mit Allem, was ist, dann kämpfte sie sich auf die Beine und sah sich um. Der Turm des Bewegten Bewegers: passender hätte die Eingangshalle nicht sein können. Vor ihr lag ein großes Rund, mindestens 100 Fuß breit, die monolithischen Wände mit Zacken gesäumt und die Decke höher, als das man sie hätte erkennen können. Der Boden war ein Puzzle aus vielfarbigen Marmorstücken, doch der Sinn ihrer Anordnung blieb verborgen. Ihr Blick glitt die Wände entlang, auf der Suche nach einer Tür oder Treppe, doch bis auf Reihen spitzer Speere, die aus dem fugenlosen Mauerwerk sprossen, entdeckte sie nichts. Stutzend blickte sie sich ein zweites Mal um. Sollte dies etwa der einzige Raum sein? Wo waren die diabolischen Prüfungen und mächtigen Gegner, auf die sie sich Nacht für Nacht ängstlich schwitzend vorbereitet hatte? Doch was am wichtigsten war, wo war ihr...?
Sie riss die Augen auf und spannte ihre Muskeln an, jeden Moment einen Angriff erwartend. Eine Bewegung, ein flüchtiger Lufthauch und wabernde Schatten. Genau gegenüber von ihr, am anderen Ende der Halle, entzog sich die Wand ihrem wachsamen Auge, obwohl der Raum gleichmäßig beleuchtet war. War es eine Sinnestäuschung, ein magischer Kniff des Tyrannen? Nein, sie wußte, was das zu bedeuten hatte, und die Vorstellung, mit ihrer Vermutung richtig zu liegen, brachte ihr Blut zum Wallen und ihren Gedanken Schärfe.
>>Ich weiß, dass du da bist, Bruder!<<, rief sie und hob ihr Schwert auf. Eine Schattenwolke löste sich von der Wand, schwebte in die Mitte des Raumes und veränderte sich. >> Schwester...<<
Die Stimme war dünn, nicht mehr als ein Wispern im Sturm, und doch drang sie in jede Faser ihres Körpers ein, lähmte sie mit ihrer Kälte. Der Mann, der gesprochen hatte, stand nun vor ihr. Zwar in menschlicher Gestalt, doch noch immer schattengleich. Er war dünn, seine Haut gelblich und transparent wie Papier, sein Gesicht scharf und schön, doch jeglicher Freude beraubt, gefesselt an selbst gewähltes Elend. Seine Augen waren nicht wie bei den anderen Menschen, die sie kannte, klare Seen, deren Grund es zu erforschen galt, sondern nicht mehr als matte Steine, deren Feuer auch unter der Oberfläche abgebrannt war.
>>Endlich<<, säuselte der Mann. >>Du bist gekommen, um dich unserer Sache zu verschreiben? Ich denke nicht! Eher, um uns aufzuhalten, habe ich nicht Recht, Airith? Selbst nach all diesen Jahren glaubst du weiterhin an die Emanation? An das hervorgehen aller Dinge aus dem Einen, göttlichen? Dein Dogma wird dich das Leben kosten, denn die Welt ist Chaos.<<
>>Marv...<<
Dieses eine Wort, und all ihre Gefühle. Liebe, denn er war ihr Bruder. Angst, denn sie fürchtete sich vor dem, was sie tun wollte. Neid, denn er hatte ein Ideal gefunden, so verwerflich es auch aus ihrer Perspektive sein mochte. Leid, denn es schmerzte sie, ihn so zu sehen, aufgezehrt von seinem Ehrgeiz, dienlich allenfalls dem Stillstand seiner eigenen Seele. Und Wut. Rasende Wut. Eine höchst natürliche Emotion in Anbetracht der Umstände, dachte sie, und doch unnatürlich, denn sie sollte vor Freude jauchzen, ihn wieder zu sehen.
>>Marv...<<
Mehr brachte Airith nicht hervor. Was hätte sie ihm alles sagen können. Wie laut hätte sie ihn anschreien können. Und wie liebevoll hätte sie ihn umarmen können, doch sie war weder fähig zu Aufnahme, noch zu Ausdruck. Die Zeit lief so schnell an ihr vorbei, wie seine Worte unverstanden, und sie war so leer wie ein ausgetrocknetes Flußbett.
>>Marv...<<
Durch den Schleier hindurch, der sie von der Realität trennte, vernahm sie die leise Worte: >>Was würde die Liebe tun, Airith?<<, und sie stürmte vorwärts. Sie wollte Marv einfach nur berühren, ihm einfach nur zeigen, dass ihr Herz überfloss vor Liebe, selbst oder gerade nach all diesen Jahren, aber sie lief durch ihn hindurch wie durch Nebel.
>> Airith, denkst du wirklich, ich wäre noch an einen Ort gefesselt?<<, gackerte er. >>Denkst du wirklich, ich wäre weiterhin des Einen fleischlicher Untertan? Ich bin der Erste von vielen! Das erste erfolgreiche Experiment unseres großartigen Befreierst. Ich kann Allem entsagen, wenn ich will, und die Welt liegt offen vor mir. Nichts trübt mir den Sinn, weder Schmerz noch Müdigkeit noch...<<
>>Liebe...<<, sagte sie. War sie eben leer gewesen wie eine umgekippte Flasche, so war diese Flasche nun durch die Worte ihres Bruders vom Tresen gerollt und zerborsten.
>>Liebe, Marv. Kannst du auch ihr entsagen? Hast du eine Ahnung, was du dir angetan hast? Unsterblich, gefesselt in einer Dimension, die dich Kälte lehren wird. Du wirst unfähig sein, zu lieben, zu leiden oder zu weinen. Du hast dich deiner menschlichsten Gabe entledigt. Der, zu fühlen, und nichts kann dich aus dieser Verdammnis retten, denn du bist allein. Niemand wird dir auf diesem Pfad folgen, selbst wenn dein Meister uns alle in diese Hölle schickt, denn er schenkte dir keine Freiheit oder Immunität. Er schenkte dir Spaltung von dir selbst. Dein Körper war kein Gefängnis. Er war die Schale, aus der du den Saft des Lebens gekostet hast. Und nun bist du nicht frei.Du bist gefangen in einer Dimension, weder Raum noch Zeit. Keinem zugehörig und doch Teil von Beidem! Dieses Paradoxon wird dein Käfig sein...<<
Ihre Stimme versagte und vor Schmerz schluchzend wandte sie sich ab. Eine einsame Träne rollte ihre Wange hinab, und blieb an ihren Lippen hängen. Sie kostete von ihr und der salzige Geschmack wirkte irgendwie trostend, gab ihr etwas, woran sie sich festhalten konnte. Eine weitere Träne folge der ersten und lief diesmal über ihr Kinn und ihren Hals hinab in ihren Ausschnitt und kühlte dort ihren von der Schlacht vor diesem Turm noch aufgeheizten Körper. Sie schloß die Augen, wollte die Welt vergessen, und dabei lösten sich zwei weitere Tränen. Diese rannen hinab bis zu ihrem Kinn und fielen auf den Boden.
Ihr Sturz rauschte in Airyths Ohren und die Symphonie ihres Aufpralls war klarer als dutzende Kinderstimmen.
Sie wirbelte herum begann zu brüllen:
>> Du wirst durch Räume taumeln, die aus Momenten bestehen, unfähig zu sagen, wer du bist, wo du bist, oder ob du bist. Du wirst alles fühlen, aber da nichts um dich herum sein wird, fühlst du nichts. Und wenn du dann nichts fühlst, obwohl alles ist, wirst du den Verstand verlieren und nicht einmal sagen können, ob das gut oder schlecht ist. Im Tode lebend, wirst du weiter laufen, als Toter im Leben, jenseits aller Empfindungen außer Bedauern. Dies ist dein Schicksal, Bruder, und ich werde verhindern, dass jemand es mit dir teilen muss, sowahr ich hier stehe!<<
Nach diesen Worten blieb es eine ganze Weile still, während das Echo ihres Ausbruches verhallte. Marv rührte sich nicht, aber es sah auch nicht so aus, als schockten ihn ihre Flüche. Von Sheyreens anfänglicher Unsicherheit war nichts mehr zu spüren. Mit dieser Tat hatte ihr der Tyrann eine tödliche Waffe in die Hand gegeben: Entschlossenheit. Und ganz gleich, ob er am Herzschlag der Sterne gehorcht oder am Atem der Götter gerochen hatte, er würde nicht mächtig genug sein, um sie aufzuhalten.
>> Wenn es denn dein Wille ist, geh.<<, sagte Marv ganz prosaisch und löste sich wieder auf. Zwar hatte Airyth bereits von ihm Abschied genommen, aber ihn nun so dahin schweben zu sehen, gerade weil sie nach all den Jahren, in denen sie ihn nicht gesehen hatte, gehofft hatte, ihn heute aus den Klauen des Tyrannen retten zu können, versetzte ihr einen tiefen Stich in ihr Herz.
Voll trauer wandte sie sich von der Rauchwolke, die mal Teil ihres Lebens gewesen war, ab und wollte bereits losgehen, als ihr einfiel, dass es aus dieser Halle keinen Weg hinaus gab außer den, durch den sie gekommen war.
Sie schaute sich noch einmal genauer um, studierte die Wände sorgsam, erforschte den Boden mit ihren Augen und durchtastete den Schatten unter der Decke. Nichts. Da war rein garnichts, außer...
Der gesamte Boden setzte sich in Bewegung, wand sich in endlosen Spiralen der Decke entgegen. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Die Zacken in den Wänden waren nicht bloß Prunk, sie hatten den Zweck, dem Boden als Schienen zu dienen, um ihn hinaufzutragen, zur Wohnstatt des Tyrannen. Augenblicklich zog sie ihr Schwert, das sie in ihrem Zwist mit Marv weggesteckt hatte und kniete sich auf den Boden. Nichts auf dieser Welt konnte sie besser vorbereiten auf das was nun kommen würde, als ein letztes Gespräch mit dem All-Einen.
>>Vater, es ist soweit. Bald wird es vorbei sein.<<
>>Ja Airyth, das wird es, es sei denn, es wird nicht vorbei sein. Das hängt von dir ab.<<
Wie immer meldete sich seine ruhige Stimme in ihrem Kopf und bei dem Gedanken daran, dass sie ihn noch nie gesehen hatte, wurde sie neugierig, versuchte jedoch, das zu verbergen.
>> Hat man dir das nicht beigebracht? Es gehört sich nicht, sich eine Vorstellung von Gott zu machen. Das ist eine Sünde.<<, hörte sie ihn zu ihrer Bestürzung sagen.
>>Aber du lehrtest mich doch, das viele Ansichten der Kirche falsch seien. Du sagtest, dass die Vorstellung der Menschheit, du würdest sie für Kränkungen und Verstöße gegen deine Gebote bestrafen, naiv sei. Bestrafen tut nur der Verletzte. Verletzen können nur enttäuschte Erwartungen. Und da du uns den freien Willen schenktest, uns in deiner Schöpfung zu erfahren, gibt es auch keine Gebote, sonst wären wir nicht frei! Und ohne Gebote gibt es keine enttäuschten Erwartungen und keine Kränkung und keine Strafe.<<, antwortete sie. Selbst nach all der langen Zeit ihrer Korrespondenz, war sie sich seiner Absichten, wenn er ein Thema anschnitt, immer noch nicht sicher.
>>Nun, Tochter. Nichts weiter als ein letzter Test. Ich habe dich vieles gelehrt und du hast meiner Stimme gelauscht und verstanden. Nun stehst du kurz davor, ein wahrer Meister zu werden, wie wenige vor dir geworden sind und wenige nach dir sein werden. Und um deine Frage zu beantworten: Ich bin eine unglaubliche Schönheit.<<
Sie musste sich beherrschen, um nicht laut loszuprusten, denn etwas Anstand und Respekt vor Gott hatte sie sich durch die endlosen Litaneien der Prister doch einverleibt. Aber auch nur etwas.
>> Bei allem Respekt vor deiner göttlichen Macht, ich bin kurz davor, das Schicksal der Welt zu entscheiden und du bringst hier so einen Brüller?<<
>>Eines müsstest du doch verstanden haben, meine Liebe.<<, flötete er höchst amüsiert. Als sich Airyth gerade darüber Gedanken machen wollte, wovon er sprach, gab er seine Serie von melodischen Rülpsern zum Besten, was ihr das letzte bisschen Beherrschung raube. Sie prustete los und hatte große Schwierigkeiten damit, sich wieder zu fangen und ernsthaft über seine Worte zu meditieren, zumal der ein oder andere verirrte Rülpser ihr noch in den Kopf schwebte.
>>Eigentlich solltest du wissen, dass alles, was ich tue, einen Hintergrund hat, denn die Entscheidungen über meine Handlungen werden von mir getroffen und nicht vom Zufall. Das ist der einzige Unterschied zwischen mir und der Menschheit und trennt Euch vom Himmel auf Erden. Denn da niemand böse sein möchte, selbst der Tyrann nicht, treibt Euch lediglich Unwissenheit und Blindheit zu Handlungen, die Euch oder anderen schaden. Aber wir wollen hier keine weitere Lehrstunde abhalten, sondern dich stärken, und das ist mir doch gelungen, oder?<<
Airyth brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was er meinte, dann verstand sie. Sein infantiles Gealber hatte sie von dem Schmerz in ihrem Herzen abgelenkt und selbst jetzt, da sie wieder an Marv dachte, war der Gedanke an seinen Verlust nicht mehr so Gramvoll.
>>Danke.<<, sagte sie mit einem lächeln auf den Lippen und einer kleinen Spur von Verlegenheit in ihrer Stimme.
>>Danke, Vater. Du weißt doch, dass ich dich liebe, oder?<<
>>Das weiß ich. Und ich liebe dich, so wie jeden Menschen. Doch nun zu etwas anderem: Weißt du, warum sich der Tyrann bewegter Beweger nennt?<<
Das wußte sie nicht und ebenso wenig verstand sie den plötzlichen Themenwechsel, der sie etwas kränkte, ich dadurch aber auch die nötige Konzentration verlieh.
>>Nein, das weiß ich nicht.<<
>> Dann werde ich es dir erzählen:
Vor langer Zeit, als der Tyrann selbst noch jung war, vernahm er genau wie du meine Stimme in seinem Kopf. Die Lehren der Kirche hatten ihn noch nicht allzusehr abgestumpft, und so konnte ich zu ihm sprechen. Wir führten viele Gespräche und wir drangen sehr weit von in die Materie, über die ich auch mit dir sprach und spreche. Er war klug und er war offen für alles was ich ihm sagte, aber wie ich im Nachhinein feststellen musste, hatten die Vorstellungen der Kirche von meiner Gestalt und meinem Willen doch teilweise auf in abgefärbt. Doch bevor ich das erkannte, setze ich große Hoffnungen in ihn. Ich glaubte, er könne die Menschheit vielleicht aufwecken, sie von ihren sinnlosen Pfaden der Zerstörung abbringen, und er glaubte das auch. Doch er steigerte sich zu sehr in die Sache hinein, verlor jede Vernunft und sah die Lösung aller Menschen Probleme im Tod, den ich ihm ein seiner ahren Schönheit geschildert habe. Ich versuchte ihn, von diesem Weg abzubringen, doch er war stur und ich erkannte das nicht. Schließlich verlor ich die Verbindung zu ihm und verloren, wie er sich in diesem Moment gefühlt haben muss, erinnerte er sich einer alten Lehre der Kirche. Der, dass Gott manchmal auf die Probe stellt, um die tiefe des Glaubens und die Frömmigkeit eines Menschen zu erkennen. So dachte er nicht mehr über meine Worte nach und begann, sein Ziel zu verwirklichen: alle Menschen im Tod zu erlösen, so wie deinen Bruder.<<
>>Und wieso nennt er sich jetzt der Bewegte Beweger?<<, fragte Airyth, die über die Offenheit des All-Einen bestürzt war. Niemals hätte sie gedacht, dass sie ihn jemals von so tief liegendem Schmerz sprechen hören würde, und das Vertrauen, das er ihr dadurch bewies, erfreute sie. Sie bekam Mitleid mit dem Tyrannen, dessen Leben zu großen Teilen von der Kirche, wenn auch unbewußt, irregeführt worden war und beschloss, den All-Einen keinesfalls auf dem selben Wege zu enttäuschen.
>>Wie ich dir bereits sagte, Tochter, konnte weder der Tyrann mich enttäuschen noch wirst du es können, sonst wäre ich nicht Gott, und er schadete durch sein unbedachtes Verhalten nur sich, aber deine Entschlossenheit ehrt dich.
Nun, er nannte sich in Andenken an mich, der ich der unbewegte Beweger bin, der Herrscher über den Raum, der zeitlos ist und deshalb ohne Bewegung, so, wie er nun heißt. Ich schuf die Zeit als Maß der Bewegung, damit der Raum mit dem gefüllt werden konnte, was ihr Leben nennt. Ich bin, was ich habe, und deshalb bin ich Raum, weil ich diesen beherrsche. Und deshalb bin ich unabhängig von der Zeit an jedem Ort, unabhängig vom Ort zu jeder Zeit.
Und die Wahl seines Namens sollte dir zeigen, dass er nicht böse, sondern unwissend ist, und du allein hast die Möglichkeit, ihn zu mir zurückzubringen.<<
Mit diesem Worten vertummte die Stimme in Airyth Kopf und ließ sie mit den schwindelerregenden Drehungen des Bodens und ihren bereits schwindelnden Gedanken allein zurück. Doch sie hatte nicht die Zeit, wenn es so etwas wie Zeit nach den letzten Worten des All-Einen überhaupt gab, um sich weiterhin den Kopf zu zerbrechen, denn in diesem Moment stoppte die Plattform, auf der sie kniete und sie wußte, dass sie angekommen war.
Sie stand auf und steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. Danach ging sie, ohne sich genauer umzublicken auf die Treppe zu, die vor ihr abseits der Plattform weiter nach oben auf die nächste Ebene des Turmes zu führen schien.
Mit klopfendem Herzen schritt sie die Stufen empor, doch ihre Glieder waren vor Angst so träge, dass es ihr vorkam, als erklimme sie einen Berg. Oben angekommen, durchschritt sie einen Flur, der zu beiden Seiten von Türen und tiefen Alkoven gesäumt wurde, doch sie wußte aus irgendeinem Grund, dass ihr Ziel am Ende dieses Ganges lag. Der Gang schien nicht zu enden und durch seine Spiralform erriet sie, dass er bis zur Spitze des Turmes führen würde. Nach gefühlten Stunden in denen sie darüber nachdachte, ob Weg zum Schafott nicht angenehmer sei, als der ihre, kam sie an einer weiteren Treppe an, auf deren oberster Stufe eine unverschlossene Falltür auf sie wartete. Airyth kletterte hindurch und fand sich, wie erwartet, auf der Spitze des Turmes wieder. Sie musste wahrhaft Stunden im Inneren des Turmes verbracht haben, obwohl sie von tief unten, vor den Toren das Klirren und Schreien des Krieges vernahm, denn am Firmament tanzten bereits die Sterne und die runde Mondscheibe erlaubte ihr, die Umgebung genauer zu betracheten. Sie befand sich auf einem mindestens 40 fuß breiten Quadrat, dessen Boden aus festen schwarzen Steinsplittern bestand. An jeder Ecke des Quadrats schraubte sich eine spitze Fiale gen Himmel, die zusammen eine Art Arena bildeten. Sheyreen rutschte das Herz in die Hose, doch vom Tyrannen war noch nichts zu sehen. Sie schritt auf den Rand der Arena zu, wobei ihre Stiefel auf dem Boden ein knirschendes Geräusch hinterließen.
Wenigstens bietet mir der Boden genügend Halt für einen Kampf, dachte sie und fasste um das beruhigend kalte Heft ihres Schwertes, während sie sich über die Brüstung lehnte. Am Fuß des Turmes zuckten die Flammen von Fackeln und von oben betrachtet sah das Geschehen einem Paarungstanz von Glühwürmchen ähnlicher als einer Schlacht, aber die Schreie der sterbenden verrieten die Schrecklichkeiten, die dieses harmlose Bild tarnte.
>>Nicht dort unten wird die Entscheidung über das Schicksal der Welt gefällt, Airith.<<, sagte jemand hinter ihr mit einer Stimme so voll wie die Ernte nach einem ergiebigem Sommer und so galant wie eine Raubkatze auf der Jagd.
Airith wirbelte herum. Vor ihr stand der Tyrann. Jedenfalls musste er es sein, auch wenn er eher nach einem Höfling denn einem grausamen Mann, wie in Erzählungen von ihm die Rede gewesen war, aussah. Im schwachen Licht des Mondes konnte sie sein Gesicht nur schemenhaft erkennen, doch sie sah seine wachen Augen, die ganz anderes als die ihres Bruders, selbst in finsterster Nacht zu leuchten schienen; und sie sah sein höffliches Lächeln, das gepart mit einer affektiert devoten Verbeugung sehr verächtlich wirkte.
Als er sich wieder aufrichtete, stellte Airith fest, dass er groß war und auch sein weiter Umhang konnte seine muskulöse Statur nicht verbergen.
>>Du scheinst überrascht. Hieltest du mich für einen alten Mann, der gebeugt durch seine Gemächer streift?<<
>>Eure Erscheinung ist nicht von Belang, Tyrann, denn nur das haben Eure dolosen Handlungen aus Euch gemacht. Und da ihr meinen Namen kennt, schätze ich, dass ihr zeitig die Gesellschaft meines Bruders genoßen habt, der nun dank Eurer verruchten Hand nichts weiter ist als ein lächerliches Gespenst, seiner Würde beraubt.<<
Die Worte kamen ihr über die Lippen, bevor sie darüber nachdedacht hatte, was sie sagen könnte, doch ihre Wut über das Schicksal ihres Bruders hatten ihre Zunge geleitet.
>>Deine Wut kann dir bei deinem Vorhaben nützlich sein, aber sie wird deine Handlungen in deinen Augen nicht verwerflich machen, ebenso wenig, wie es die meinen für mich sind. Ich werde die Menschheit von ihren Fesseln und Schmerzen befreien und sie in die Glückseligkeit leiten. Das hört sich doch selbst für die Ohren einer ungebildeten Bauerntochter nicht allzu finster an, oder?<<, dozierte er mit überlegener Miene vor sich hin.
Seine Anspielung auf ihre Herkunft schoss an Airith wie ein schlecht gezielter Blindgänger vorbei, doch die lässigkeit, mit der er es wagte, über seine Abscheulichen Taten zu sprechen, trieb sie zur Weißglut.
>>Euren vornehmen Augen und Eurem scharfen Verstand muss entgangen sein, das Erlösung und das Elend, das mein Bruder durchleben wird, wenig miteinander gemein haben<<, konterte sie mühsam beherrscht.
>>Deine Worte bedeuten nichts<<,wetterte er pathetisch.>>Mein Auftrag erhielt ich von Gott selbst, und seine schützende Hand wird mein Werk zur vollendung führen, während sie dich in den Untergang treibt!<<
Die folgenden Worte legte sich Airith genau zurecht, denn sie wußte, dass sie diesem Mann in einem Schwertkampf nicht gewachsen war, selbst wenn sie nicht bereits eine Schlacht am Fuße dieses Turmes geschlagen hätte, denn obwohl sie wohl zu den tödlichsten Tänzern zählte, war sie seiner körperlichen Macht nicht gewachsen. Sie musste ihn ablenken. Sie durfte ihn nicht erzürnen, sie musste ihn regelrecht bis zum explodieren bringen.
>>Nur seltsam, dass jener Gott, in dessen Namen du das Land mit brennenden Händen geknechtet hast, mich schickte, dich zu entthronen.Meine Worte sind sein Wille und...<<
Sie hatte es geschafft. Trotz des tiefen Mitleids, das sie für diesen Mann empfand, wußte sie, das für ihn nur eines die Erlösung bringen würde: der Tod. Und nun würde ihn sein unbedachtes Handeln in die Speerspitze laufen lassen, die er selbst geschmiedet hatte.
Brüllend lief er auf sie zu, das Blanke Schwert in der Hand und überwand die Entfernung zwischen ihnen in wenigen Sekungen.
So tanzten sie den Tanz des Todes.
Er schwang sein Schwert wie eine Keule, übermannt von Wut und der Angst davor, Airith könnte die Wahrheit gesagt haben. Seine Streiche haren hart und gezielt, doch sie folgtem keinem Schema, waren nur auf die Mordlust in seinen Augen gerichtet, und so konnte Airith überleben. Er trieb sie vor und zurück, mit mächtigen Hieben, und ihr Schwertt war bereits nach kurzer Zeit schartig und ihre Arme schwer. Mit eisernem Willen hielt sie sich aufrecht, focht mir der Klinge der Gerechtigkeit und Freiheit gegen diesen übermächtigen Feind in dem Wissen, bald zu fallen. Eine ganze Serie von Angriffen fuhr auf sie nieder und schließlich brach ihr Schwert entzwei und sie Klinge des Tyrannen bohrte sich in ihren Oberschenkel.
Ergriffen von Furcht, mit vom Schmerz benebelten Gedanken ließ sie sich auf ein Knie fallen, jeglicher Hoffnung beraubt. Dies war das Ende, da war sie sich sicher. Die Welt würde zugrunde gehen und die gepeinigten Seelen der Menschheit in ewiger Gleichgültigkeit schmoren. Sie beugte den Kopf und erwartete den tödlichen Hieb, doch er kam nicht.
Sie schaute auf. Der bewegte Beweger stand da, mit verzerrtem Gesicht, mit gebeugten Schultern und zitterte am ganzen Leib. Dann begann er zu wimmern wie ein getretener Hund, dass es einem ans Herz ging und schrie seinen Kummer in die Nacht:
>>Ich diente deinem Willen, Vater, und nun sagst du mir, dass ich fehlgeleitet wurde?<<
Sie begriff nicht, was geschah, bis eine Stimme antwortete.
>> Dein Ehrgeiz blendete dich, mein Sohn, und nun willst du meiner Schöpfung ein Ende setzen. Noch immer bist du gefangen in der Konstruktion der Relativität und ich vermag nicht, dich daraus zu erretten...<<
Airith spürte den Schmerz in dieser Stimme und das Leid, das vor ihr stand, spürte die Wahrheit in diesem Schmerz. Der Tyrann wollte antworten, doch es schien, als sei ihm jegliche Kraft genommen worden.
Mit letzter Kraft sprang Airith vom Boden auf und jagte ihm die gesplitterte Klinge direkt ins Herz. Er starrte sie an und sie sah...Dankbarkeit. Dann sank er vor ihr auf den Boden und eine Blutlache nenetzte ihre Stiefel. Airith atmete tief durch und warf ihr Schwert in hohem Bogen über den Rand des Turmes in die Tiefe und Erleichterung durchströmte sie. Zwar würde der Aufbau lange andauern und die Toten zahlreich sein, doch mit dem ersten Sonnenstrahl, der im Osten heraufzog und den Turm in ein warmes Rot tauchte, begann ein neuer Morgen für die Menschheit.
Ende
Leider sind da noch einige unkorrigierte Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, ganz zu schweigen von dem miesen Layout, aber ich hoffe ihr könnt darüber hinwegsehen und die Geschichte genießen;-)