Autor: Gaya Lupin
Altersfreigabe: frei
Rechte: Alle Rechte an "The Tribe" gehören Raymond Thompson und Cloud9. Ich habe mir für diese Story allerdings lediglich die Grundidee einer "Welt ohne Erwachsenen", die "Tribeworld" - eine Welt, in der sich die Kinder und Jugendlichen zu Stämmen zusammengeschlossen haben, ausgeliehen. Die in der Story genannten Charaktere und Stämme sind allesamt (bis auf einen kurz erwähnten zu Beginn) auf meinem Mist gewachsen. Die Geschichte ist eigentlich mehr Original als FF und entstand allein aus Freude am Schreiben. Sie dient keinen kommerziellen Zwecken.
Kommentar: Ein Roadtrip der besonderen Art. Es reizte mich einfach, meine Hexen in eine Welt ohne Erwachsene zu schicken. Die Hexen erkunden zu Pferde diese Welt - um wieder einmal gemeinsam ein Abenteuer zu erleben. Doch der wahre Hintergrund der Reise ist eigentlich ein anderer, den jedoch keine der Hexen erahnt... oder?
Es gibt auch ein paar kleine "Seitenhiebe" auf HP, das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Infos zu den Charakteren, Stämmen, Circus, etc. finden sich auf meinen websites.
Feedback: sehr, sehr gerne
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Der Traum vom Anderssein
~ 1. Kapitel ~
Lycanthropie von ihrer schönen Seite
Der Traum vom Anderssein
~ 1. Kapitel ~
Lycanthropie von ihrer schönen Seite
Beinahe völlig lautlos bewegte sie sich durchs Unterholz. Einem Schatten gleich. Nur selten knackten kaum hörbar kleinere Äste unter ihren Schritten. Übermütig sprang sie zwischen den Bäumen umher. Sie sprühte vor Lebensfreude. War da nicht etwas? Einige Meter vor ihr? Dort bewegte sich doch eindeutig etwas? Sie spitzte die Ohren und blickte wie gebannt zu der Stelle. Dann sprintete sie los. Immer schneller wurde sie. Sie schien fast zu fliegen.
Das aufgeschreckte Kaninchen sprang verängstigt in seinen Bau. Darüber war sie keineswegs enttäuscht. Im Gegenteil. Das Kaninchen konnte es nicht wissen, aber ihr war es nicht etwa um Nahrungsbeschaffung gegangen. Das Laufen bereitete ihr einfach riesige Freude. Immer, wenn sie so schnell durch Wälder und über Wiesen rannte, fühlte sie sich so richtig unbeschwert und frei. Beim Laufen spürte sie regelrecht, wie die schweren Ketten, die um ihr Herz lagen, zersprangen. Niemand, der ihr sagte, was sie zu tun oder zu lassen habe. Keine lästigen Pflichten. Niemand, der ihr sagte, sie sei zu alt für solche Albernheiten.
Sie atmete tief durch. Frei. Frei. Endlich mal wieder frei! Freiheit. Wer weiß schon, was Freiheit ist? Für die meisten ist es bloß ein Wort. Sie aber war eine der wenigen, die um die wahre Bedeutung wusste.
Fröhlich – auch wenn man ihr das vielleicht nicht ansah – sog sie die herrlich frische, duftende Waldluft ein. Sie erinnerte sich, wie sie als Kind in diesem Wald gespielt hatte. Hm... Wald? Na ja, eigentlich war es mehr ein kleines Waldstück, das nur aus wenigen Bäumen bestand. Zumindest im Vergleich mit einem richtigen Wald. Aber das war ihr egal. Ihr genügte es.
Was war das für ein unheimliches Geräusch? Da! Da war es schon wieder! Es hallte durch den ganzen Wald. Über ihr knackte etwas. Ihr Blick richtete sich blitzschnell nach oben. In der Baumkrone über ihr saß eine Eule. Jetzt wusste sie, was das für ein Geräusch war. Interessiert blickte sie zu der Eule. Doch schließlich setzte sie ihren Weg fort. Doch halt – was war das für ein Geruch, der ihr plötzlich in die Nase stieg? Sie hielt inne und schnupperte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Dieser Geruch... das konnte nichts Gutes heißen, oder? Ein wenig ängstlich sah sie sich um. Ihre leuchtend braunen Augen erblickten ein Mädchen am Waldesrand. Das Mädchen schaute zu ihr und sie erwiderte den Blick. Sekundenlang stand sie so da. Dann entschied sie sich, weiterzulaufen. Ohne sich noch einmal umzusehen. Nein, noch wollte sie nicht zurück- zurück in den „Käfig“ namens Zivilisation.
Alles auf Anfang – oder: Zurück zu den Wurzeln
Lupina drehte noch einmal eine ausgelassene Runde durch das kleine Wäldchen. Die Wölfin war froh, dass sich hier gerade kein Jäger herumtrieb. Nur ungern dachte sie an die getötete Wölfin Bärbel – vor allem, da der Ort des Geschehens nicht sehr weit weg war.
Da sie jegliches Zeitgefühl verloren hatte, begab sie sich zum anderen Ende des Waldes und hielt nach der Sonne Ausschau. Es musste später Nachmittag sein – höchste Zeit, zurückzukehren.
Sie ließ es sich nicht nehmen, noch einmal durch den Wald zu laufen, wieder zurück zu dem Mädchen am Waldrand. Dort angekommen, blieb sie zögernd stehen. Vorsichtig sah sie sich um. Als das Mädchen ihr ein Zeichen gab, richtete sich die Wölfin langsam auf. Ihre Gliedmaßen und ihr Körper streckten und verformten sich. Als die Rückverwandlung abgeschlossen war, lief Lupina – die nun wieder Anna war, zu ihr. „Entschuldige, ich hab völlig die Zeit vergessen.“ „Das bin ich doch schon gewohnt“, erwiderte Jenny - wie das Mädchen hieß - lächelnd, „ich weiß doch, wie sehr du ‚Lupina’ magst. Aber ich glaube, es wird Zeit für den Rückweg.“ Anna nickte. Gemeinsam marschierten sie den Weg entlang bis zu der Weide, wo ihre Pferde standen und ritten zu Anna nach Hause.
***
Beinahe einstimmig hatten sich die Mitglieder des „Circus Fantasy“ dazu entschlossen, den Circus dieses Jahr bis auf wenige Sondervorstellungen pausieren zu lassen. So hatten endlich einmal wieder alle mehr Zeit für sich, ihre Familien, Freunde und auch ihre Tiere. Die ersten Monate des Jahres verbrachten die meisten daher daheim bei ihren Familien.
Während Anna bei sich zuhause eine zeitlang wieder ihrem eigentlichen Beruf nachging, befand sich ihr Freund Benjamin in seiner Heimat England. Allerdings blieb er dort nicht lange. Genau wie früher, bevor es den Circus gegeben hatte, reiste er danach wieder mit Cassiopeia – der Kalderash – als deren Beschützer und Freund durch Irland. Anna vermisste ihn sehr und sie überlegte, ob sie ihr Versprechen, welches sie ihm gegeben hatte, nun endlich einlösen sollte: Schon lange hatte sie ihm versprochen, einmal nach England zu reisen und sich seine Heimat von ihm zeigen zu lassen. Doch noch konnte und wollte sie nicht hier weg.
Auch die anderen Circusmitglieder vermisste sie. Da war zum Beispiel Svenja, die sich oft um eines von Annas Pferden kümmerte. Svenja war nach Island zurückgekehrt, um sich wieder ein wenig selbst um ihre Islandpferde- Zucht zu kümmern. Die strengen Gesetze Islands bereiteten ihr einige Probleme: Wenn sie beim Circus war, konnte sie nicht wie die anderen ihre eigenen Pferde mitnehmen und danach mit ihnen nach Hause, nach Island, zurückkehren, und andererseits konnte sie nie ihr Pflegepferd mit zu sich nach Island nehmen. Es fiel ihr daher nicht immer leicht, ihre Pferde oder ihren Pflege-Araber zurücklassen zu müssen.
Dann gab es da noch Adriane, die zusammen mit Ben nach England gereist war, um sich von da aus in ihre Wahlheimat Schottland zu begeben. Dort wollte sie sich mit einem alten – sehr, sehr alten – Freund in den schottischen Highlands treffen, worauf sie sich sehr freute. Mit seiner Hilfe wollte sie nebenbei auch ein wenig ihre Schwertkampfkünste auffrischen. Von Johanna und Julius, die nur ab und zu beim Circus dabei waren, weil sie sich um ihren Gnadenhof kümmern mussten, hatte Anna gehört, dass sie derzeit eine Aushilfe anlernten. Bei dem Mädchen sollte es sich um eine Hexe mit großem Gespür für Tiere handeln.
Und auch all die anderen Hexen und Nichthexen nicht zu vergessen, die ebenfalls zum Circus gehörten...
***
Eigentlich hatte Anna am Abend eines ihrer Lieblingsbücher – Stephen Kings ‚The Stand’ – weiterlesen wollen, doch weit kam sie nicht. Sie musste an Janine denken. Janine, die ebenfalls eines von Annas Pferden als Pflegepferd hatte, und die durch ihre Blindheit so gar nicht ‚behindert’ war, war schweren Herzens nach Amerika zurückgekehrt – in Stephen Kings Heimat Bangor, wo sie lebte. Kaum zu glauben, dass seit ihrer ersten Begegnung schon acht Jahre vergangen waren.
Damals ging es der gerade einmal Neunjährigen ziemlich schlecht: Seit ihrer Erblindung hatte sie sich kaum noch rausgetraut, Freunde hatte sie keine mehr, und ihre Mutter hatte sie – aus Angst um ihre Tochter – darin auch noch unterstützt. Janine kam mit ihrer Behinderung nicht zurecht, sie hatte Angst vor der Dunkelheit, Angst vorm Alleinsein, sie kam sich völlig verloren vor. Durch eine Hexe, die mit einem Mädchen befreundet war, das seinerseits mit Anna befreundet war, wurden Anna und die anderen Hexen auf das blinde Mädchen aufmerksam. Dank ihnen, vor allem aber dank des Blindenführhundes Annabell, schaffte es Janine der Einsamkeit und Dunkelheit zu entkommen. Heute merkte man der inzwischen 16- fast 17jährigen beinahe nichts mehr von ihren Ängsten, ihrer Unsicherheit, aber auch ihrer Blindheit an. Auch wenn die letzten acht Jahre wie im Flug vergangen zu sein schienen, waren sie nicht spurlos vorübergezogen. Janines Hündin Annabell war mittlerweile zehn Jahre alt und zeigte langsam erste Altersbeschwerden. Deshalb waren Janine der Abschied und die Rückkehr in die USA diesmal auch besonders schwer gefallen. Sie sollte dort einen neuen Begleithund erhalten. Anna und die anderen Mitglieder des Circusses waren schon gespannt auf ein Wiedersehen mit Janine und auf ihren neuen Hund. Oder würde es wohl doch ein „Blindenführpony“ werden? Schließlich handelte es sich beim "Circus Fantasy" um einen „Pferdezirkus“ und was passte da besser?
***
Hauptsächlich durch Briefe und E-Mails blieben die Zirkusmitglieder untereinander in Kontakt. Anna musste ein wenig darüber schmunzeln, wie sehr sich die Briefe in gewisser Weise ähnelten: Zu Beginn des Jahres schrieben die meisten noch, wie froh sie waren, mal wieder länger zuhause zu sein und berichteten stolz von ihren Erlebnissen fern des Circusses. So schrieb Judy, dass sie die freie Zeit nutzte, um sich wieder um „ihre“ Wildpferde-Herde in den Weiten Kanadas zu kümmern. Freudig berichtete sie, wie der Leithengst – „The Nameless“ – sie sofort wiedererkannt hatte und noch glücklicher war sie darüber, dass alle Tiere die verheerenden Waldbrände der letzten Zeit überlebt hatten. Jenny indes bedauerte es ein wenig, dass sie gar keine Zeit mehr für Streiche hatte, da sie sich (genau wie Gina) auf ihren Schulabschluß vorbereiten musste.
*
Als es auf Sommer zuging, klangen die Briefe nicht mehr ganz so fröhlich. Die meisten vermissten den Circus, das Reisen, vor allem aber das Beisammensein. So kam es, dass sich in den Sommerferien einige der Mädchen und Jungen genau wie früher (bevor es den Circus gegeben hatte) in Annas Heimatstadt auf einer abgelegenen Wiese in der Nähe eines Reiterhofes trafen.
Anna ritt zusammen mit Jenny – die in einem Nachbarort wohnte – zu der Wiese. Dennis (Jennys Bruder) folgte ihnen auf seinem Fahrrad, welches er noch immer einem Pferd vorzog.
Die Drei waren die ersten auf der Wiese. Überglücklich galoppierte Jenny auf ihrem Norwegerwallach erst einmal quer über die Wiese. Endlich hatten zumindest die schulischen Prüfungen (an die Hexenprüfungen mochte sie gar nicht denken) und die (normale) Schule für sie ein Ende. Als nächstes kam Gina mit ihrer Schwester und einem ihrer Brüder angeritten. Ihr zweiter Bruder folgte ebenfalls auf einem Fahrrad. Auch Gina hatte nun die Schule hinter sich. Es folgten Sascha, Jill und Jana. Kurz danach tauchte Samantha mit Abigail, Jake und den eineiigen Zwillingsschwestern Tina und Eve auf. Während Tina und Eve etwas verdrießlich drein schauten, schien Jake ziemlich aufgeregt. Die anderen konnten sich schon denken, was die Zwillinge hatten - sicherlich hatten sie wieder einmal einen ihrer Streiche gespielt und dafür Ärger mit Sam bekommen - doch was war mit Jake? Er hüpfte wie wild zwischen den anderen umher und fragte ständig nach Johanna. Alle blickten fragend zu Sam, die leicht genervt erklärte: „Jake hat seine Liebe zum Lesen entdeckt. Er ist richtig süchtig nach diesen Büchern, die voller Halbwahrheiten über Leute unserer Art stecken.“ „Ich kann mir schon denken, was du meinst“, sagte Cassandra und blickte zu ihrer jüngeren Schwester Gina. Tina und Eve begannen auf einmal zu kichern. „Wieso, die Bücher sind doch toll!“ riefen sie gleichzeitig. „Das war ja klar. Wundert mich überhaupt nicht, dass ihr euch dafür interessiert, wo es darin schließlich auch ein immer zu Streichen aufgelegtes Zwillingspaar gibt“, erwiderte Gina lächelnd. „Hey, wie wär’s, wenn wir unsere Pferde gegen Besen eintauschen? Das ist doch viel standesgemäßer!“ kam es von Sascha. „Kennst du eine Hexe, die sich mit einem Besen fortbewegt?“ fragte Sam. „Nein“, antwortete Sascha etwas kleinlaut. „Noch so ein albernes Klischee, was man sich über uns erzählt.“
Plötzlich kam ein Auto angefahren und hielt bei der Wiese. Johanna stieg aus, gefolgt von einem Mädchen, welches Anna unbekannt war. Sie trug Kleidung, die aus einem längst vergangenen Jahrhundert zu stammen schien. Ihr schulterlanges, gelocktes, braunes Haar leuchtete in der Sonne. Freundlich blickte sie sich um. Johanna war noch nicht weit gekommen, als Jake zu ihr stürzte und immer wieder „Bitte, bitte, bitte“ flehte, worauf Johanna ein energisches „Nein“ erwiderte. Diesmal schauten alle leicht verwirrt zu Johanna. Nachdem sie kurz zu Samantha geschaut hatte (die darauf nickte), sagte sie ebenso genervt: „Das geht so schon ’ne ganze Weile. Jake will unbedingt Rosalie geliehen haben, er gibt einfach keine Ruhe. Er will einfach nicht verstehen, dass Eulen kein Spielzeug und schon gar keine Postboten sind.“ Als Jake die Blicke der anderen auf sich spürte, zog er sich enttäuscht zurück. Nun endlich hatte Johanna Zeit, das Mädchen allen anwesenden Mädchen und Jungen vorzustellen. Ihr Name war Merle, sie war die Aushilfe, die Johanna derzeit anlernte. Danach setzten sich alle bei einem Picknick in der Mitte der Wiese zusammen. Merles warmherzige Art ließ den Eindruck erwecken, als gehörte sie schon ewig dazu.
Alle unterhielten sich angeregt. Als Anna von ihren Erlebnissen als „Lupina“ erzählte, entging ihr dabei nicht, wie Jake sie mit leuchtenden Augen anblickte. „Lasst mich raten: Harry?“ fragte sie in die Runde. Gina und die Zwillinge nickten. Doch noch jemand lauschte Annas Worten gebannt: Jenny. „Ich möchte das auch so gerne mal“, meinte sie plötzlich. „Warum nicht“, antwortete Anna, nachdem sie sich umgesehen hatte und fuhr dann fort: „Hier ist grad niemand in der Nähe. Du darfst es gern mal probieren.“ Das ließ sich Jenny nicht zweimal sagen. Sie sprang auf, konzentrierte sich, drehte sich dann aber noch einmal um und fragte: „Was ist mit Lupina?“ „Heute nicht, sorry. Es muss ja auch nicht unbedingt sie sein, oder? Aber fang schon mal an.“ Lächelnd schloss Jenny die Augen und konzentrierte sich nun völlig auf die Verwandlung. Ihr wuchs ein graubraunes Fell und langsam nahm ihr Körper immer mehr die Gestalt eines Wolfes an. Da sie noch nicht viel Übung hatte, dauerte es bei ihr noch etwas länger als bei Anna, doch sie machte ihre Sache bereits sehr gut.
Die Wölfin blickte mit ihren goldbraunen Augen zu den anderen, dann begann sie plötzlich zu schnuppern und lief zielstrebig von der Wiese zum benachbarten Grundstück. „Mist, ich hab vergessen, dass das ein Schafzuchtbetrieb ist!“, rief Anna und lief hinter Jenny her. Noch auf dem Weg verwandelte sie sich.
Aufgeregt sprang die Wölfin am Zaun hoch. Ein merkwürdiges, lautes Knurren neben ihr ließ sie jedoch innehalten. Sie blickte sich um... und sah direkt in die Augen eines Berglöwen, dessen Fell in der Sonne golden leuchtete. Die Wölfin sträubte ihr Fell, legte die Ohren an und fletschte die Zähne. Der Puma fauchte wild und drängte den Wolf vom Zaun weg. Mit einem Mal schüttelte die Wölfin den Kopf, erstarrte und sah die Katze fragend an. Dann schien sie zu begreifen, fing an zu tänzeln und den Puma zum Spiel aufzufordern. Beinahe schien es, als würde die große Katze lächeln. Die Wölfin sprintete los, zuerst über einen Weg, dann quer über eine nahe Wiese, immer nach dem Puma Ausschau haltend. Der Berglöwe jagte ihr in gestrecktem Galopp hinterher. Von Zeit zu Zeit hielt die Wölfin an, wartete, bis sich die Katze ihr bedrohlich genähert hatte, um dann wieder loszulaufen. Hinter einem großen Baum hielt sie erneut an. Die Katze duckte sich, ihr Schwanz zuckte vor Aufregung. Langsam schlich sie mit geschmeidigen Bewegungen - nah an den Boden gedrückt - näher an den Baum heran. Dann sprang sie auf und stürzte zu der Stelle, wo die Wölfin sein musste. Wieder standen sich die Beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Die Wölfin senkte ihren Oberkörper, streckte ihr Hinterteil in die Höhe und forderte so den Berglöwen erneut zum Spiel auf. So ging das noch eine ganze Weile. Schließlich trotteten beide Seite an Seite gemeinsam zurück zu der kleinen Gruppe, die noch immer auf der Wiese saß. Anna verwandelte sich bereits im Gehen zurück, Jenny erst, als sie wieder bei den anderen waren. „Na hoffentlich hat das keiner gesehen. Ein Puma und ein Wolf, hier, in dieser Gegend“, meinte Johanna. „Keine Sorge, es war niemand in der Nähe“, versicherte Gina. Jenny setzte sich zufrieden lächelnd wieder auf ihren Platz. „Das war toll, einsame Spitze. Das müssen wir unbedingt irgendwann noch mal machen.“ „Gerne. Du warst wirklich gut, du hast den Wolf schnell unter Kontrolle bekommen. Ich sehe da gute Chancen bei der nächsten Prüfung. Du machst dich“, sagte Anna stolz. Jenny lief ein wenig rot an. Bisher hatte sie nur selten Lob bekommen, da sie noch bis vor einiger Zeit ihre magischen Kräfte lieber für Streiche genutzt hatte, zum Missfallen der älteren Hexen.
Später am Nachmittag – die Gruppe diskutierte gerade, was man machen könnte – kam plötzlich ein weiteres Auto angefahren. „Christine?“, rief Abby überrascht, als sie den großen, rot-weißen 58er Plymouth sah. Er hielt am Rand der Wiese. Als sich die Fahrertür öffnete, war das Autoradio zu hören, welches alte Lovesongs spielte. „Sie kann’s einfach nicht lassen“, grinste Danny. „Tja, King-Fan durch und durch“, lachte Anna. Die Musik verstummte und Charlotta stieg aus. Fröhlich winkte sie den anderen zu, beugte sich dann noch einmal kurz ins Auto und wartete danach neben der Tür. Schwerfällig kam ein Bernhardiner aus dem Wagen geklettert, schüttelte sich einmal, blickte sich kurz um und lief dann zu der Gruppe. „Hallo Cujo.“ Abigail stürzte sich gleich auf den Bernhardiner und knuddelte ihn. „Ich hab noch eine Überraschung für euch“, rief Charlotta über die Wiese. Im nächsten Augenblick öffnete sich auch schon die Beifahrertür und Sarah stieg aus. Die Beiden gingen zu den Anderen, wo sie freudig begrüßt wurden.
Schnell kam die Gruppe wieder auf das Thema zurück, wobei sie unterbrochen worden waren. Beinahe alle wollten am liebsten wieder gemeinsam umherreisen und Abenteuer erleben – jedoch auch mal ohne den Circus.
„Mal wieder über Felder und Wiesen galoppieren, ohne dabei von einer Straße aufgehalten zu werden“, meinte Sascha. „In der Wildnis campen wäre genial“, sagte Jenny. „Wie wär’s mit Schweden?“, fragten Jill und Jana. „Oder Frankreich“, kam es von Anna. „Obwohl Irland auch nicht schlecht wäre...“ „England oder Schottland!“ „Australien!“ „Ans Meer und da schön am Strand liegen.“ „Oder am Meer entlang galoppieren.“ Wie sollte man sich da einig werden? In einem Punkt allerdings fiel es ihnen leicht: die Pferde sollten auf jeden Fall mit. Doch das erschwerte die Sache, nicht überall waren Pferde erlaubt. Etliche Vorschläge später fasste Jenny noch einmal alles zusammen: „Wo finden wir also einen Ort, wo wir ohne Ende reiten und im Wald campieren können, ohne auf wütende Jäger oder Bauern zu stoßen, wo es möglichst nur wenig Autos gibt, wo wir auch die Hunde mitnehmen können, wo wir mit den Pferden durchs Meer galoppieren und auch mal ganz für uns sein können und wo wir vielleicht auch mal unsere Fähigkeiten einsetzen können?“ „Ich weiß, wo“, erwiderte Gina auf einmal, sprang auf und war im nächsten Moment verschwunden.