Ich fang mal an, mit einem, naja nennen wir es kleines Drama:
Ein Jüngling liebt ein Mädchen
(Heinrich Heine)
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.
Das Mädchen heirathet aus Aerger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Sachliche Romanze
Erich Kästner
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend sassen sie immer noch dort.
Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Der Panther
(Rainer Maria Rilke)
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß...
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß;
Ich liebe dich, weil ich nicht anders kann;
Ich liebe dich nach einem Himmelsschluß;
Ich liebe dich durch einen Zauberbann.
Dich liebe ich, wie die Rose ihren Strauch;
Dich liebe ich, wie die Sonne ihren Schein;
Dich liebe ich, weil du bist mein Lebenshauch;
Dich liebe ich, weil dich lieben ist mein Sein.
Friedrich Rückert
Noch ein Gedicht, bei dem es mich gepackt hat, abermals von Erich Kästner:
Die unverstandene Frau
Er band, vorm Spiegel stehend die Krawatte.
Da sagte sie (und blickte an die Wand)
„Soll ich den Traum erzählen, den ich hatte?
Ich hielt im Traum ein Messer in der Hand.
Ich hob es hoch, mich in den Arm zu stechen,
und schnitt hinein, als sei der Arm aus Brot.
Du warst dabei. Wir wagten nicht zu sprechen.
Und meine Hände wurden langsam rot.
Das Blut floß lautlos in die Teppichranken.
Ich hatte Angst und hoffte auf ein Wort.
Ich sah dich an. Du standest in Gedanken.
Dann sagtest du:„Das Messer ist ja fort...”
Du bücktest dich. Doch war es nicht zu finden.
Ich rief:„So hilf mir endlich!“ Aber du,
du meintest nur:„Man müßte dich verbinden“,
und schautest mir wie einem Schauspiel zu.
Mir war so kalt, als sollte ich erfrieren
Du standest da mit traurigem Gesicht,
und wolltest rasch zum Arzt telefonieren
und Rettung holen. Doch du tatst es nicht.
Dann nahmst du Hut und Mantel, um zu gehen,
und sprachst:„Jetzt muß ich aber ins Büro“,
und gingst hinaus. Und ich blieb blutend stehen.
Ich starb im Traum. Und war darüber froh...“
Er band, vorm Spiegel stehend, die Krawatte.
Und sah im Spiegel, daß sie nicht mehr sprach.
Und als er sich den Schlips gebunden hatte,
griff er zum Kamm. Und zog den Scheitel nach.
Noch eins, das ich mittlerweile sehr liebe, dank der Interpretation von Jürgen von der Lippe (!!) ist Bertolt Brechts "Erinnerung an Marie A."
Erinnerung an die Marie A.
(Bertolt Brecht)
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nurmehr: ich küßte es dereinst.
Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.
Noch eines, das ich seeehr gerne höre, ich Hermann Hesse's "Verführer"
Gewartet habe ich vor vielen Türen,
In manches Mädchenohr mein Lied gesungen,
Viel schöne Frauen sucht ich zu verführen,
Bei der und jener ist es mir gelungen.
Und immer, wenn ein Mund sich mir ergab,
Und immer, wenn die Gier Erfüllung fand,
Sank eine selige Phantasie ins Grab,
Hielt ich nur Fleisch in der enttäuschten Hand.
Der Kuß, um den ich innigst mich bemühte,
Die Nacht, um die ich lang voll Glut geworben,
Ward endlich mein - und war gebrochene Blüte,
Der Duft war hin, das Beste war verdorben.
Von manchem Lager stand ich auf voll Leid,
Und jede Sättigung ward Überdruß;
Ich sehnte glühend fort mich vom Genuß
Nach Traum, nach Sehnsucht und nach Einsamkeit.
O Fluch, daß kein Besitz mich kann beglücken,
Daß jede Wirklichkeit den Traum vernichtet,
Den ich von ihr im Werben mir gedichtet
Und der so selig klang, so voll Entzücken!
Nach neuen Blumen zögernd greift die Hand,
Zu neuer Werbung stimm ich mein Gedicht ...
Wehr dich, du schöne Frau, straff dein Gewand!
Entzücke, quäle - doch erhör mich nicht!
Achja.. abermals Kästner; der Mann war ein Genie!
Die Existenz im Wiederholungsfalle
Man müßte wieder sechzehn Jahre sein
Und alles, was seitdem geschah, vergessen.
Man müßte wieder seltne Blumen pressen
Und - weil man wächst - sich an der Türe messen
Und auf dem Schulweg in die Tore schrein.
Man müßte wieder nachts am Fenster stehn
Und auf die Stimmen der Passanten hören,
wenn sie den leisen Schlaf der Straßen stören.
Man müßte sich, wenn einer lügt, empören
Und ihm fünf Tage aus dem Wege gehen.
Man müßte wieder durch den Stadtpark laufen.
Mit einem Mädchen, das nach Hause muß
Und küssen will und Angst hat vor dem Kuß.
Man müßte ihr und sich, vor Ladenschluß,
für zwei Mark fünfzig ein Paar Ringe kaufen.
Man würde seiner Mutter wieder schmeicheln,
weil man zum Jahrmarkt ein paar Groschen braucht.
Man sähe dann den Mann, der lange taucht.
Und einen Affen, der Zigarre raucht.
Und ließe sich von Riesendamen streicheln.
Man ließe sich von einer Frau verführen
Und dächte stets: „Das ist Herr Nußbaums Braut.“
Man spürte ihre Hände auf der Haut.
Das Herz im Leibe schlüge hart und laut,
als schlügen nachts im Elternhaus die Türen.
Man sähe alles, was man damals sah.
Und alles, was seit jener Zeit geschah,
das würde nun zum zweitenmal geschehen...
Dieselben Bilder willst du wiedersehn?
Ja!
Welches Gedicht mich zu Tränen gerührt hat, egal ob vorgelesen oder niedergeschrieben, ist Albrecht Goes' "Schritte"
Die Schritte
Klein ist, mein Kind, dein erster Schritt,
klein wir dein letzter sein.
Den ersten geh'n Vater und Mutter mit,
den letzten gehst du allein.
Sei's um ein Jahr, dann gehst du, Kind,
viel Schritte unbewacht,
wer weiß, was das dann für Schritte sind
im Licht und in der Nacht?
Geh kühnen Schritt, tu tapfren Tritt,
groß ist die Welt und dein.
Wir werden, mein Kind, nach dem letzten Schritt
wieder beisammen sein.
Und nun die Krönung, ich bekomme Mal um Mal Gänsehaut:
Theodor Fontane's "Königin Eleonorens Beichte"
Todkrank lag Königin Eleonor',
Sie wußte, daß schlecht es stünde:
»Schickt mir zwei Mönche von Frankreich her,
Daß ich beichte meine Sünde.«
Der König rief seine Haushalt-Lords,
Seinen ersten und seinen zweiten:
» Ich will Leonorens Beichtiger sein,
Lord Marschall, du sollst mich begleiten.«
»Lord Marschall, steh auf, ich verpfände mein Wort
Woll' mir zuvor versprechen,
Was auch die Königin beichten mag,
An mir es nimmer zu rächen.«
»Lord Marschall, steh auf, ich verpfände mein Wort
Und ganz England zu meinen Füßen,
Was auch die Königin beichten mag,
Du sollst es nimmer büßen.
Wir legen an ein mönchisch Gewand-
In Kapuze und grauem Kleide,
So kommen wir betend von Frankreich her
Und hören die Beichte beide.«
Sie legten an ein mönchisch Gewand;
Als gen Whitehall sie schritten,
Des Volkes Menge begleitete sie
Mit Kniefall und frommen Bitten.
Sie traten hin vor die Königin
Und sprachen mit Händefalten:
»Vergib, es haben Wetter und Wind
Unsren Dienst zurückgehalten.«
»Wenn ihr zwei Mönche von Frankreich seid,
Kann ich euer Säumen nicht schelten;
Wenn ihr zwei englische Mönche seid,
Sollt ihr's am Leben entgelten.«
»Wir sind zwei Mönche von Frankreich her,
Drum beichte ohne Bangen,
Wir haben noch keine Messe gehört,
Seit wir zu Schiff gegangen.«
»Die erste Sünde, die ich beging,
Hat andre groß gezogen:
Lord Marschall hab' ich zuvor geliebt
Und den König hab' ich betrogen.«
»Eine schwere Sünde! ich löse sie doch
In Gottes und Christi Namen.«
Der König spricht's, Lord Marschall bebt
Und murmelt: »Amen, Amen.«
»Die zweite Sünde, die ich beging,
Die will ich zum andern bekennen,
Ich mischt' einen Trunk, der sollte mich rasch
Von König Heinrich trennen.«
»Eine schwere Sünde! ich löse sie doch
In Gottes und Christi Namen.«
Der König spricht's, Lord Marschall bebt
Und murmelt: »Amen, Amen.«
»Die dritte Sünde, die ich beging,
Die will zum dritten ich beichten,
Meine Hände waren's, die Becher und Gift
An Rosamunden reichten.«
»Eine schwere Sünde! ich löse sie doch
In Gottes und Christi Namen.«
Der König spricht's, Lord Marschall bebt
Und murmelt: »Amen, Amen.«
»Seht in der Halle den Knaben dort,
Er spielt mit dem Federballe,
Das ist Lord Marschalls ältester Sohn,
Und ich lieb' ihn mehr als alle.
Und seht in der Halle den zweiten dort,
Er hascht nach dem fliegenden Balle,
Das ist König Heinrichs jüngster Sohn,
Und ich haß' ihn mehr als alle.
Er hat einen Kopf wie ein Warwick-Stier
Und ist täppisch wie ein Bär«;
»Mag sein«, rief König Heinrich da,
»Ich lieb' ihn desto mehr.«
Ab riß er Kapuze und Mönchsgewand,
Sein Antlitz war blutrot,
Leonore schrie auf und rang die Händ' -
Ihre Beichte war ihr Tod.
Der König über die Schulter sah,
Vielgrimmig sah er drein:
»Lord Marschall, wär's nicht um mein Wort,
Du solltest gehangen sein.«
(Heinrich Heine)
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.
Das Mädchen heirathet aus Aerger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Sachliche Romanze
Erich Kästner
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend sassen sie immer noch dort.
Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Der Panther
(Rainer Maria Rilke)
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß...
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß;
Ich liebe dich, weil ich nicht anders kann;
Ich liebe dich nach einem Himmelsschluß;
Ich liebe dich durch einen Zauberbann.
Dich liebe ich, wie die Rose ihren Strauch;
Dich liebe ich, wie die Sonne ihren Schein;
Dich liebe ich, weil du bist mein Lebenshauch;
Dich liebe ich, weil dich lieben ist mein Sein.
Friedrich Rückert
Noch ein Gedicht, bei dem es mich gepackt hat, abermals von Erich Kästner:
Die unverstandene Frau
Er band, vorm Spiegel stehend die Krawatte.
Da sagte sie (und blickte an die Wand)
„Soll ich den Traum erzählen, den ich hatte?
Ich hielt im Traum ein Messer in der Hand.
Ich hob es hoch, mich in den Arm zu stechen,
und schnitt hinein, als sei der Arm aus Brot.
Du warst dabei. Wir wagten nicht zu sprechen.
Und meine Hände wurden langsam rot.
Das Blut floß lautlos in die Teppichranken.
Ich hatte Angst und hoffte auf ein Wort.
Ich sah dich an. Du standest in Gedanken.
Dann sagtest du:„Das Messer ist ja fort...”
Du bücktest dich. Doch war es nicht zu finden.
Ich rief:„So hilf mir endlich!“ Aber du,
du meintest nur:„Man müßte dich verbinden“,
und schautest mir wie einem Schauspiel zu.
Mir war so kalt, als sollte ich erfrieren
Du standest da mit traurigem Gesicht,
und wolltest rasch zum Arzt telefonieren
und Rettung holen. Doch du tatst es nicht.
Dann nahmst du Hut und Mantel, um zu gehen,
und sprachst:„Jetzt muß ich aber ins Büro“,
und gingst hinaus. Und ich blieb blutend stehen.
Ich starb im Traum. Und war darüber froh...“
Er band, vorm Spiegel stehend, die Krawatte.
Und sah im Spiegel, daß sie nicht mehr sprach.
Und als er sich den Schlips gebunden hatte,
griff er zum Kamm. Und zog den Scheitel nach.
Noch eins, das ich mittlerweile sehr liebe, dank der Interpretation von Jürgen von der Lippe (!!) ist Bertolt Brechts "Erinnerung an Marie A."
Erinnerung an die Marie A.
(Bertolt Brecht)
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nurmehr: ich küßte es dereinst.
Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.
Noch eines, das ich seeehr gerne höre, ich Hermann Hesse's "Verführer"
Gewartet habe ich vor vielen Türen,
In manches Mädchenohr mein Lied gesungen,
Viel schöne Frauen sucht ich zu verführen,
Bei der und jener ist es mir gelungen.
Und immer, wenn ein Mund sich mir ergab,
Und immer, wenn die Gier Erfüllung fand,
Sank eine selige Phantasie ins Grab,
Hielt ich nur Fleisch in der enttäuschten Hand.
Der Kuß, um den ich innigst mich bemühte,
Die Nacht, um die ich lang voll Glut geworben,
Ward endlich mein - und war gebrochene Blüte,
Der Duft war hin, das Beste war verdorben.
Von manchem Lager stand ich auf voll Leid,
Und jede Sättigung ward Überdruß;
Ich sehnte glühend fort mich vom Genuß
Nach Traum, nach Sehnsucht und nach Einsamkeit.
O Fluch, daß kein Besitz mich kann beglücken,
Daß jede Wirklichkeit den Traum vernichtet,
Den ich von ihr im Werben mir gedichtet
Und der so selig klang, so voll Entzücken!
Nach neuen Blumen zögernd greift die Hand,
Zu neuer Werbung stimm ich mein Gedicht ...
Wehr dich, du schöne Frau, straff dein Gewand!
Entzücke, quäle - doch erhör mich nicht!
Achja.. abermals Kästner; der Mann war ein Genie!
Die Existenz im Wiederholungsfalle
Man müßte wieder sechzehn Jahre sein
Und alles, was seitdem geschah, vergessen.
Man müßte wieder seltne Blumen pressen
Und - weil man wächst - sich an der Türe messen
Und auf dem Schulweg in die Tore schrein.
Man müßte wieder nachts am Fenster stehn
Und auf die Stimmen der Passanten hören,
wenn sie den leisen Schlaf der Straßen stören.
Man müßte sich, wenn einer lügt, empören
Und ihm fünf Tage aus dem Wege gehen.
Man müßte wieder durch den Stadtpark laufen.
Mit einem Mädchen, das nach Hause muß
Und küssen will und Angst hat vor dem Kuß.
Man müßte ihr und sich, vor Ladenschluß,
für zwei Mark fünfzig ein Paar Ringe kaufen.
Man würde seiner Mutter wieder schmeicheln,
weil man zum Jahrmarkt ein paar Groschen braucht.
Man sähe dann den Mann, der lange taucht.
Und einen Affen, der Zigarre raucht.
Und ließe sich von Riesendamen streicheln.
Man ließe sich von einer Frau verführen
Und dächte stets: „Das ist Herr Nußbaums Braut.“
Man spürte ihre Hände auf der Haut.
Das Herz im Leibe schlüge hart und laut,
als schlügen nachts im Elternhaus die Türen.
Man sähe alles, was man damals sah.
Und alles, was seit jener Zeit geschah,
das würde nun zum zweitenmal geschehen...
Dieselben Bilder willst du wiedersehn?
Ja!
Welches Gedicht mich zu Tränen gerührt hat, egal ob vorgelesen oder niedergeschrieben, ist Albrecht Goes' "Schritte"
Die Schritte
Klein ist, mein Kind, dein erster Schritt,
klein wir dein letzter sein.
Den ersten geh'n Vater und Mutter mit,
den letzten gehst du allein.
Sei's um ein Jahr, dann gehst du, Kind,
viel Schritte unbewacht,
wer weiß, was das dann für Schritte sind
im Licht und in der Nacht?
Geh kühnen Schritt, tu tapfren Tritt,
groß ist die Welt und dein.
Wir werden, mein Kind, nach dem letzten Schritt
wieder beisammen sein.
Und nun die Krönung, ich bekomme Mal um Mal Gänsehaut:
Theodor Fontane's "Königin Eleonorens Beichte"
Todkrank lag Königin Eleonor',
Sie wußte, daß schlecht es stünde:
»Schickt mir zwei Mönche von Frankreich her,
Daß ich beichte meine Sünde.«
Der König rief seine Haushalt-Lords,
Seinen ersten und seinen zweiten:
» Ich will Leonorens Beichtiger sein,
Lord Marschall, du sollst mich begleiten.«
»Lord Marschall, steh auf, ich verpfände mein Wort
Woll' mir zuvor versprechen,
Was auch die Königin beichten mag,
An mir es nimmer zu rächen.«
»Lord Marschall, steh auf, ich verpfände mein Wort
Und ganz England zu meinen Füßen,
Was auch die Königin beichten mag,
Du sollst es nimmer büßen.
Wir legen an ein mönchisch Gewand-
In Kapuze und grauem Kleide,
So kommen wir betend von Frankreich her
Und hören die Beichte beide.«
Sie legten an ein mönchisch Gewand;
Als gen Whitehall sie schritten,
Des Volkes Menge begleitete sie
Mit Kniefall und frommen Bitten.
Sie traten hin vor die Königin
Und sprachen mit Händefalten:
»Vergib, es haben Wetter und Wind
Unsren Dienst zurückgehalten.«
»Wenn ihr zwei Mönche von Frankreich seid,
Kann ich euer Säumen nicht schelten;
Wenn ihr zwei englische Mönche seid,
Sollt ihr's am Leben entgelten.«
»Wir sind zwei Mönche von Frankreich her,
Drum beichte ohne Bangen,
Wir haben noch keine Messe gehört,
Seit wir zu Schiff gegangen.«
»Die erste Sünde, die ich beging,
Hat andre groß gezogen:
Lord Marschall hab' ich zuvor geliebt
Und den König hab' ich betrogen.«
»Eine schwere Sünde! ich löse sie doch
In Gottes und Christi Namen.«
Der König spricht's, Lord Marschall bebt
Und murmelt: »Amen, Amen.«
»Die zweite Sünde, die ich beging,
Die will ich zum andern bekennen,
Ich mischt' einen Trunk, der sollte mich rasch
Von König Heinrich trennen.«
»Eine schwere Sünde! ich löse sie doch
In Gottes und Christi Namen.«
Der König spricht's, Lord Marschall bebt
Und murmelt: »Amen, Amen.«
»Die dritte Sünde, die ich beging,
Die will zum dritten ich beichten,
Meine Hände waren's, die Becher und Gift
An Rosamunden reichten.«
»Eine schwere Sünde! ich löse sie doch
In Gottes und Christi Namen.«
Der König spricht's, Lord Marschall bebt
Und murmelt: »Amen, Amen.«
»Seht in der Halle den Knaben dort,
Er spielt mit dem Federballe,
Das ist Lord Marschalls ältester Sohn,
Und ich lieb' ihn mehr als alle.
Und seht in der Halle den zweiten dort,
Er hascht nach dem fliegenden Balle,
Das ist König Heinrichs jüngster Sohn,
Und ich haß' ihn mehr als alle.
Er hat einen Kopf wie ein Warwick-Stier
Und ist täppisch wie ein Bär«;
»Mag sein«, rief König Heinrich da,
»Ich lieb' ihn desto mehr.«
Ab riß er Kapuze und Mönchsgewand,
Sein Antlitz war blutrot,
Leonore schrie auf und rang die Händ' -
Ihre Beichte war ihr Tod.
Der König über die Schulter sah,
Vielgrimmig sah er drein:
»Lord Marschall, wär's nicht um mein Wort,
Du solltest gehangen sein.«