Lebensgeschichte
Teil Eins- Winter
Es war Winter, als ich dich zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Eine feine Schicht puderzuckerweißen Schnees bedeckte die grünen Hügel Wales’ und verzauberte die gesamte Gegend. Deine Familie verbrachte die Feiertage bei deinem Onkel, einem verrückten Wissenschaftler, wie ihn meine Mutter gerne bezeichnete. Dennoch kamen wir euch besuchen, traditionsgemäß am 2. Weihnachtsfeiertag. Ich wusste nie, weshalb, schließlich waren wir nicht verwandt und in der Schule sahen wir uns häufig genug. Doch irgendwie erschien es mir auch richtig, dass die zwei mächtigsten und bekanntesten Zaubererfamilien Großbritanniens gemeinsam ein paar Tage verbrachten.
Ich langweilte mich entsetzlich. Was auch sonst? Meine Eltern führten angeblich wichtige Gespräche mit deinen Eltern, deiner Tante und deinem Onkel. Dein missratener Cousin war über die Feiertage verschwunden, vermutlich bei seinem besten Freund Potter untergekommen. Sein jüngerer Cousin beschäftigte sich mit deiner kleinen Schwester und dem Hausbesitzer, deinem anderen Onkel, damit, die Sterne zu beobachten und sich Geschichten über sie erzählen zu lassen. Zumindest zwei in der Familie, die ihm momentan zuhörten. Wo deine zweite Schwester war, wurde nicht erwähnt.
Die Erwachsenen weigerten sich, mich in ihren Kreis aufzunehmen, mit der abwegigen Begründung, dass du dich einsam fühltest und ich mich lieber um dich kümmern sollte. Bitte. Wir wussten doch alle, wie verlogen das war. Sie planten unsere Zukunft und wollten nicht, dass wir irgendetwas erfuhren, bevor sie endgültig darüber entschieden hatten. Hinzu kam, dass du mich nicht weiter beachtetest. „Verloren“ und „einsam“ wären wohl die letzten Adjektive gewesen, mit denen ich dich beschrieben hätte.
Wann immer ich mich dir näherte, wandest du für den Bruchteil einer Sekunde deine dunklen Augen von deiner Lektüre ab, um mich kurz zu mustern. Stolz, dachte ich. Du warst tatsächlich und vor allem anderen die Tochter deiner Mutter. Derselbe Blick, derselbe Ausdruck, dieselbe Haltung, nur noch ausgeprägter. Eine ungeheure Selbstsicherheit ging von dir aus, du wusstest um deine Ausstrahlung, deine Wirkung und gabst dir nicht einmal Mühe, das zu verbergen.
Deine Haare, lang und so schwarz wie Rabenschwingen, fielen dir ins Gesicht, bildeten einen Kontrast zu der feinen Porzellanhaut, die euch alle verbindet, die gesamte Familie. Mondscheinblass. Eine passende Farbe für eine Truppe von Sternguckern. Obwohl sie langsam verschwinden, nicht wahr? Nur dein alter Onkel, dein junger Cousin und deine Schwestern interessieren sich dafür. Immerhin, vier aus dem fürnehmen und gar alten Haus der Blacks. Wobei ich mir nicht sicher war, ob tatsächlich noch beide deiner Schwestern dazu gehörten.
Dein gesamtes Verhalten machte mir deutlich, dass ich dich durch meine Anwesenheit eher belästigte als dich damit zu erfreuen und aus der Einsamkeit zu befreien. Welch schlechte Ausreden hatten unsere Eltern doch wieder verwendet. Schweigend ließ ich mich dir gegenüber nieder, nahm Platz in einem dieser schwarzen Samtsessel, die sich überall im Haus befanden und die dich regelrecht verschluckten. Du warst zierlich, eher Tänzerin als Kämpferin, und dennoch hatte ich gehört, wie begabt du beim Duellieren warst.
Sicher, ich wusste, wer du warst- immerhin warst du in Slytherin und ich war Vertrauensschüler. Dein jüngerer Cousin und deine jüngste Schwester waren ebenfalls dem Haus der Schlange zugeteilt worden, während dein zweiter Cousin als Löwe brüllte und deine andere Schwester als Rabe flog. Eure Streitereien waren legendär und schon mehr als einmal hatte ich euch trennen müssen, damit die Verletzungen und Flüche nicht noch schlimmer wurden.
Neben dir und deinem Gryffindor-Cousin verblasste der Rest der Verwandtschaft. Euren jüngeren Geschwistern in Slytherin wurde kaum Beachtung geschenkt, denn sie verhielten sich, wie man es von ihnen erwartete. Und die dritte Black-Schwester? Nun, Ravenclaw wurde stillschweigend akzeptiert. Ihr beide dagegen, ihr schenktet euch nichts. Der gleiche, leidenschaftliche Blick aus dunkelglühenden Augen, das unberechenbare Temperament, das jederzeit hervorbrechen konnte- wann immer ihr aufeinander traft, konntet ihr euch einer kleinen Zuschauermenge gewiss sein.
Wie sehr du ihn hasstest, teiltest du halb Slytherin geradezu regelmäßig mit. Die Jüngeren liefen dir und deinen Freunden hinterher, seltsam stolz auf ihre schwarze Prinzessin, die den Namen Black in Ehren hielt, wie deine Eltern den meinen oft genug im Vertrauen mitgeteilt hatten. Du warst der Liebling deiner Familie, die perfekte Tochter, die stets alle Erwartungen erfüllte, die in sie gesetzt wurden.
Selbst in diesem Moment, in den Weihnachtsferien, im Hause deines Onkels, warst du perfekt. Du saßest auf deinem Sessel, als wäre er ein Thron, mit einem weitaus teureren Stoff bezogen als mit bloßem Samt. Dein Verhalten erschien mir hoheitsvoll, ähnlich dem meinen, und du wusstest, dass du jeden Grund dazu hattest. Für deine Familie warst du eine Prinzessin, hattest eine erstklassige Erziehung genossen und warst eine der Jahrgangsbesten in Hogwarts. Jahrgangsbeste eines außergewöhnlichen Jahrgangs, wie es bereits damals hieß.
Langsam legtest du nun dein Buch- Berühmte Animagi des Zweiten Jahrtausends –beiseite, richtest dich auf und schobst deine angezogenen Beine von dir, um sie übereinander zu schlagen. Das Kerzenlicht, das in der Bibliothek vorherrschte, schmeichelte den sanften Konturen deines Gesichts und ließ deine Haut elfenbeinfarben wirken. Ich hob eine Augenbraue. Noch etwas, das dich aristokratischer machte, als du es ohnehin bereits warst.
Deine langen Beine steckten in Jeans und ich vermutete, dass du deine Eltern mit nur einem Lächeln dazu bewegen konntest, dir Muggelkleidung zu gestatten. Es stand dir, ohne Zweifel. Der rote, gestrickte Pullover betonte deine dunklen, offenen Haare und die ebenfalls dunklen Augen, die mich musterten. Du bliebst stumm, wartetest auf eine Erklärung- schließlich war ich es gewesen, der deine Ruhe gestört hatte.
„Deine Eltern fürchteten, du könntest dich einsam fühlen.“, hörte ich mich reden und bemerkte das spöttische Aufglimmen in deinen Augen. Du wolltest die Wahrheit, kanntest sie bereits und es amüsierte dich, wie ich mich bemühte, die Lügen aufrecht zu erhalten, denn es war nicht schicklich, wenn Kinder ihre Eltern durchschauten. Obgleich ich älter war als du, hielt ich mich an diese ungeschriebenen Regeln, während du sie gerade mir gegenüber offen missachtetest.
Offiziell wusstest du dich natürlich zu benehmen. Ich hatte es oft genug erzählt bekommen, denn deine Eltern redeten viel über dich- wohl auch, da es über deine beiden Schwestern nicht viel zu sagen gab. Die Jüngste war noch zu klein, um wirklich interessant zu sein und die Mittlere entsprach nicht ganz den Vorstellungen der Familie Black.
„Möchtest du eine Tasse Tee?“, riss mich deine Stimme aus meinen Gedanken und du blicktest mich fragend an, während ein Hauself neben dir erschien. „Earl Gray, mit Milch.“, antwortete ich reflexartig und schon war der Elf wieder verschwunden, allerdings nur, um kurz darauf zwei Tassen mit dampfendem Tee auf das kleine Tischchen neben dir zu stellen. Daneben standen Milch, Zucker und ein Teller, auf dem Zitronenscheiben in der dazugehörigen Presse lagen.
Du reichtest mir meine Tasse und während ich Milch hineinrührte, griffst du nach den Zitronen. Einige Minuten vergingen, wir verbrachten sie schweigend, nur das leichte Kratzen der Teelöffel durchbrach die Stille. Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass du mir nichts zu sagen hattest und daher schwiegst. Denn weder erschienst du mir zu schüchtern, um mich anzusprechen, noch zu ungebildet, um ein interessantes Thema zu finden.
Schließlich räusperte ich mich. „Du gehst in eine Klasse mit Severus Snape?“ Du hobst den Kopf, stelltest deine Tasse ab und nicktest. „Allerdings.“ Ich seufzte gedanklich. Es wurde nur allzu offensichtlich, dass du nicht die geringste Lust verspürtest, ein Gespräch mit mir zu führen. „Ich kenne ihn, weil mich Professor Heyworth des Öfteren auf seine beachtlichen Zaubertrankkenntnisse anspricht.“, bemühte ich mich weiter, die Konversation voranzubringen.
„Ach?“, war die einzige Reaktion, die von dir ausging. Du trankst in aller Ruhe deinen Tee und mustertest mich abschätzend. Unter deinem Blick wurde ich kleiner, so ungern ich es mir auch eingestand. Ich hatte mir mein Auftreten über Jahre hinweg angelernt und dennoch glaubte ich in diesem Moment, es nicht einmal halb so gut zu beherrschen wie du. Damals nahm ich mir vor, mich dir gegenüber wenigstens einmal überlegen zu fühlen. Zumindest einmal wollte ich Angst in deinen dunklen Augen sehen, die sonst so voller Stolz waren.
Ich mochte dich nicht besonders. Dafür machtest du mir wohl manchmal einfach zu viel Angst. Aber damals wusste ich das alles noch nicht. Damals warst du einfach nur ein junges Mädchen, das in Hogwarts demselben Haus angehörte wie ich und um das ich mich kümmern sollte, während unsere Eltern wichtige Dinge besprachen. Für sie waren wir noch immer Kinder, auch wenn ich bezweifelte, dass du jemals Kind gewesen warst.
Manche Menschen wirken, als wären sie bereits erwachsen auf diese Welt gekommen. Ich zähle mich dazu. Es gibt keinerlei Erinnerung, die mir von Tagen erzählt, an denen ich lachend mit meinen Eltern in unserem riesigen Garten herumtollte. Meine Kindheit hatte mich gelehrt, rasch erwachsen zu werden. Wenn ich in deine Augen sah, blickte mich etwas an, das mich einfach zweifeln ließ, dass du ein typisches kleines Mädchen gewesen warst, wie aus dem Bilderbuch. Vermutlich warst du bereits als Fünfjährige klug gewesen, hattest dich anderen gegenüber erhaben gefühlt und das zu Recht. In gewisser Weise waren wir uns ähnlich.
„Verzeihung, doch ich denke, wir dürften uns nicht allzu zu sagen haben.“, erklärtest du mir in diesem Moment, griffst nach deinem Buch und verschwandest dahinter. Meine Wangen brannten wie Feuer und nun war ich mir sicher, dass wir niemals Freunde würden. Teenager, die mich brüskierten, hatten nicht gerade die besten Chancen bei mir. Aufzustehen und mit dem letzten Rest Würde aus der Bibliothek zu verschwinden, erschien mir die beste Fluchtmöglichkeit.
Es war Winter, als ich dich zum ersten Mal gezwungenermaßen bewusst wahrnahm. Es wurde Frühling und ich lernte dich langsam kennen.