Die Handlung schließt unmittelbar an das Ende von Band 6 an. Alle Figuren aus den HP-Büchern gehören selbstverständlich allein der von uns allen so sehr geschätzten Frau J.K. Rowling.
Harry Potter und der Schatz der Geheimniswahrer
(Cover-Art by Severa Snape)
Kapitel 1: Ein fataler Fehler
Die Nacht hing über der finsteren Landschaft und ein naßkalter, stürmischer Wind pfiff durch die Bäume. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum Morgengrauen und es war still in den Wäldern geworden, weil sich die meisten Tiere irgendwo verkrochen hatten, um Ruhe zu finden. Im Mondlicht einer Lichtung erschien plötzlich eine einzelne Ratte und rannte mit einer so hohen Geschwindigkeit über den Boden, dass man meinen mußte, sie würde von einem übermächtigen Feind verfolgt werden. Je weiter sie lief, desto dichter wurde der Nebel und desto kälter war die Luft.
Wurmschwanz war spät dran. Sein Herr hatte vor einer Stunde alle seine Todesser zusammengerufen. Der Treffpunkt war wie immer seit der Rückkehr des dunklen Lords der kleine Friedhof von Little Hangleton. Das dunkle Mal auf seinem Unterarm brannte noch immer höllisch und Wurmschwanz überlegte, welchen Anlass es für diese plötzliche Zusammenkunft der Todesser geben mochte und was wohl passiert war. Als er auf dem Friedhof eintraf hatten sich bereits die meisten Todesser versammelt, und bildeten wie immer einen großen Kreis. Es war ein lautes Stimmengewirr zu hören, alle waren in ausgiebige Gespräche vertieft. In der Mitte neben dem dunklen Lord erkannte er Severus Snape, Fenrir Greyback und den jungen Malfoy. Vor allem Greyback und Draco machten einen sehr erschöpften Eindruck.
In einiger Entfernung konnte Wurmschwanz eine Schar Dementoren erkennen, die die Versammlung mit großem Interesse zu beobachten schienen. Bei diesem Anblick lief es selbst dem Todesser eiskalt den Rücken hinunter und er dachte kurz an Sirius Black, der in Askaban echte Qualen durchlitten haben mußte. Kurz nach der Ankunft von Wurmschwanz hob der dunkle Lord die Hand und augenblicklich waren alle verstummt.
„Meine treuen Diener, danke, dass ihr alle so schnell meinem Ruf gefolgt seid. Heute Nacht darf ich euch eine frohe Kunde überbringen, heute Nacht sind wir auf dem Weg zu unseren großen Zielen einen weiteren, entscheidenden Schritt voran gekommen!“
Voldemort ließ den Blick durch die Runde fragender Gesichter kreisen.
„Heute Nacht ist mein tollkühner Plan eines Angriffs auf die Zaubererschule Hogwarts voll aufgegangen. Und dank meines treuen Dieners Severus Snape hier ist es gelungen, den Gründer des Phönixordens und Schulleiter von Hogwarts, Professor Albus Dumbledore aus dem Weg zu räumen und unseren Feinden damit ihren mächtigen Anführer zu nehmen.“
Augenblicklich brach unter den Todessern ein Raunen und Gemurmel aus. Ungläubige Blicke wurden ausgetauscht. Dann begann Bellatrix Lestrange, laut zu applaudieren und alle anderen stimmten nach und nach mit Begeisterung ein. Wieder hob Voldemort die Hand.
„Für alle, die bislang Zweifel daran hatten, dass Severus voll und ganz auf unserer Seite steht, dürfte nunmehr der Beweis für seine Integrität und Loyalität mit unserer Sache erbracht worden sein.“ Er wandte sich Snape zu und ergänzte: „Severus, falls du irgend jemanden hier und heute für sein Mißtrauen dir gegenüber in besonderer Weise bestrafen willst, sei dir jetzt die Gelegenheit dazu gegeben.“
Snape deutete kurz eine leichte Verbeugung an und sagte: „Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit, mein Herr und Meister. Aber ich denke, es genügt mir fürs erste die Würdigung und Anerkennung meiner Leistungen durch Eure Lordschaft und Eure Diener.“
Plötzlich unterbrach ihn Fenrir Greyback und trat vor. „Und was ist mit uns? Haben wir nicht auch unseren Beitrag zu Dumbledores Tod geleistet? Am Ende hätte es jeder von uns tun können, er lag völlig wehrlos am Boden!“
„Euer Beitrag?“ Snape wandte sich um und zog herablassend seine rechte Augenbraue nach oben. „Fast hättet Ihr noch alles vermasselt und am Ende den jungen Potter umgebracht, obwohl seine Lordschaft eindeutig befohlen hatte, dass wir die Finger von ihm lassen sollen, bis er sich zu gegebener Zeit persönlich um ihn kümmern wird.“
„Das lasse ich mir von dir nicht länger bieten, du schleimiger, arroganter ...!“ rief Greyback und setzte dazu an, auf Snape loszustürmen, als ihn von der Seite ein Fluch traf.
„Crucio!“ ertönte es von Voldemort. Er sprach nicht besonders laut, doch glühten seine kalten Augen intensiver als zuvor. Ein roter Lichtblitz aus seinem Zauberstab hatte den Werwolf getroffen.
Greyback stürzte augenblicklich zu Boden und wälzte sich schreiend vor Schmerzen auf seinem krummen Rücken. Man konnte seine gelben Zähne nun deutlich sehen, sein Gesicht wirkte entstellt. Als Voldemort den Zauberstab sinken ließ, blieb er am Boden liegen.
Einige Todesser lachten verächtlich bei diesem Anblick, doch hatten die meisten zu viel Respekt vor Greyback und hielten sich besser mit Hohn und Spott zurück.
„Ich dulde es nicht, dass du Severus heute beleidigst und schon gar nicht, dass du ihn angreifst. Wir haben allen Grund ihm dankbar zu sein und ihn zu feiern, aber bevor wir zum festlichen Teil übergehen können, muss ich noch ein weiteres Thema abhandeln, meine lieben Todesser“, fuhr Voldemort fort.
Sein Blick wandte sich nun Draco Malfoy zu, der augenblicklich zusammenzuckte.
„Eigentlich hatte ja nicht mein getreuer Severus, sondern ein anderer meiner Todesser den Auftrag gehabt, Dumbledore zu erledigen, nicht wahr?“
Seine kalten roten Augen schienen sich in Malfoys Kopf zu bohren.
„J-j-ja, Herr, d-das war ich...“ stammelte Draco.
„Und warum hast du meinen Auftrag dann nicht ausgeführt, mein Junge? Hast du dich nicht vorher förmlich um diese Aufgabe gerissen, um mir zu beweisen, dass du schon ein fähig bist, deinem Herrn als würdiger Todesser zu dienen? Wolltest du nicht die Schmach, die dein Vater über uns gebracht hat, durch deine Aufgabe ausmerzen?“
„Ich- ich weiß nicht, Herr, ich konnte es nicht tun.“
„Hör auf mit diesem abscheulichen, schwächlichen Gejammer, du Wurm!“ Voldemorts Augen schienen Draco haßerfüllt anzufunkeln. Er richtete den Zauberstab direkt auf ihn und zischte „Crucio!“
Als Draco von dem roten Lichtblitz getroffen wurde und sich unter unglaublichen Schmerzen auf dem Boden wälzte, trat eine Gestalt aus der Runde vor und schrie: „Nein, Herr, bitte nicht! Er ist doch noch ein Kind!“
Voldemort reagierte nicht auf den Zwischenruf und quälte Draco weiter mit unverminderter Härte.
Narzissa Malfoy stürzte auf den dunklen Lord zu packte verzweifelt nach seiner Hand, die Draco mit dem Zauberstab folterte. Voldemort wich dem Angriff geschickt aus, so dass Narzissa ins Leere fiel. Am Boden liegend sah sie entsetzt zum dunklen Lord auf.
„Wie kannst Du es wagen, die Hand gegen Deinen Herrn zu erheben?“
Narzissa schwieg. Tränen traten in ihre Augen. Voller Entsetzen starrten sie alle aus der Runde an, keiner wagte es, einen Laut von sich zu geben. Auch Snapes Gesicht war jetzt kreidebleich und wie versteinert, denn auch er hatte den Ernst der Lage erkannt.
Voldemorts Augen verengten sich zu kleinen roten Schlitzen. „ Du miese, kleine Verräterin!“ Er richtete voller Hass seinen Zauberstab auf Narzissa: „Avada...“
„Herr, verzeiht, wenn ich ‚Euch unterbreche, aber darf ich kurz noch eine Anmerkung machen?“ Snape hatte das Wort ergriffen. Wütend schnellte Voldemorts Kopf herum und starrte ihm geradewegs bohrend durch die Augen in den Kopf hinein.
„Ich weiß, dass das, was sie getan hat, als Verrat nach unseren Regeln nur mit dem Tode bestraft werden kann. Aber es wäre doch ein Jammer, wenn unsere Feierlichkeiten anläßlich des heutigen Tages durch diesen so unerfreulichen Zwischenfall in den Hintergrund gedrängt werden würden. Herr, ihr würdet dieser kleinen Verräterin einen viel zu hohen Stellenwert einräumen, wenn ihr Tod auf ewig mit diesem ruhmreichen Sieg, den wir heute errungen haben, verbunden bliebe. Und vielleicht ist es unserem Nachwuchs...“ Snape hielt kurz inne und deutete auf den am Boden liegenden Draco.
„...ja eine Lehre, seine künftigen Aufgaben mit mehr Konzentration und persönlichem Einsatz anzugehen. Vielleicht ist es ihm ja ein zusätzlicher Ansporn, Euch bei seiner nächsten Aufgabe von seinen Fähigkeiten besonders zu überzeugen, wenn er damit das Leben seiner Mutter retten könnte.“
Voldemort sah Snape einen Augenblick lang verdutzt an. Normalerweise hätte er es nie geduldet, dass jemand sich in seine Entscheidung über die Bestrafung eines Todessers einmischte. Doch der Vorschlag von Snape gefiel ihm irgendwie.
„Severus, du hast heute Nacht großes geleistet und hast dafür zweifelsohne etwas gut bei mir. Und deshalb - und auch nur deshalb – will ich in dieser Frage ausnahmsweise nachgiebig sein und deinem Vorschlag folgen.“
Er deutete mit seinem Zauberstab wieder auf Narzissa, die noch immer schluchzend am Boden lag: „Petrificus totalus!“
Narzissa erstarrte. „Incarcerus!“ Seile wanden sich aus der Spitze von Voldemorts Zauberstab und fesselten Narzissas Körper. „Wurmschwanz, Greyback: Tragt sie weg und bringt sie in das Verlies!“
Wurmschwanz und Greyback traten vor und packten Narzissa an Händen und Füßen, um sie fort zu schaffen. Bellatrix biß sich auf die Lippen. Sie hatte vor wenigen Sekunden noch mit dem Schlimmsten gerechnet. Und das alles nur, weil ihr unfähiger Neffe seine Aufgabe nicht hatte zu Ende bringen können und ihre Schwester die Nerven verlor.
„Wir werden sie gefangen halten, bis unser junger Freund uns bewiesen hat,“ sprach Voldemort mit kalter Stimme weiter, „dass die beiden erbärmlichen Geschöpfe, die er seine Eltern nennt, wenigstens bei seiner Erziehung und Ausbildung nicht völlig versagt haben!“
Einige der umstehenden Todesser lachten, nicht jedoch Bellatrix und Snape, die einander mit ernstem Blick in die Augen sahen. Draco saß auf dem Boden und zitterte.
„Ich gebe dir einen Monat Zeit, um mir den jungen Potter unversehrt hierher zu bringen! Rühr ihn ja nicht an, er gehört immer noch mir! Dann kannst du ihn hier gegen deine Mutter eintauschen.“
Draco starrte Voldemort mit offenem Mund an. „Aber, Herr, man weiß, dass ich heute in Hogwarts für euch gekämpft habe. Man wird nach mir suchen, ich kann doch jetzt nicht einfach so...“
„Sei still und hör auf, mir zu widersprechen. Du hast mich heute schon einmal enttäuscht! Wenn du meinen Befehl ein weiteres Mal nicht befolgen wirst, wird deine Mutter dafür büßen müssen und tot sein und ich werde meine Diener anweisen, dich dann ebenfalls wie einen Verräter zu jagen und zu bestrafen! Und jetzt geh mir aus den Augen!“
„Herr, das ist doch unmöglich!“ stammelte Draco völlig fassungslos.
„Habe ich nicht gesagt, dass ich keine Widerrede dulde?“ Voldemort richtete genüßlich seinen Zauberstab auf Draco und schrie „Crucio!“
Draco spürte Schmerzen, wie er sie noch nie in seinem Leben gespürt hatte. Die umstehenden Todesser beobachteten gespannt, wie er - sich am Boden windend um sich schlug und schrie. Als es vorbei war, wandten sich Voldemort und alle anderen Todesser von ihm ab und disapparierten.
Draco lag noch eine lange Zeit lang allein auf der Erde. Langsam begann er irgendwann wieder, durch die nachlassenden Schmerzen die dicken Regentropfen zu spüren, die ihn trafen.
Sein Blick fiel auf die umliegenden Grabsteine und er wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als tot unter einem dieser Gräber liegen zu können.
Als er später von einer dunklen Gestalt weggetragen wurde, bemerkte er das schon nicht mehr, weil er vor lauter Erschöpfung bewußtlos geworden war.
Kapitel 2: Zwei Eulen im Ligusterweg
Harry Potter hatte seit seiner Rückkehr aus Hogwarts nicht eine einzige Nacht ruhig durchschlafen können. Immer wieder war er schweißgebadet aufgewacht, immer wieder durchlebte er im Traum die Ereignisse jener Nacht, in der er mit Albus Dumbledore aufgebrochen war, um nach diesem Horcrux zu suchen. Immer wieder wachte er an der selben Stelle auf, als Snapes tödlicher Fluch Dumbledore traf und er selbst dies – zur Tatenlosigkeit verdammt - nicht hatte verhindern können.
Zweimal hatte Onkel Vernon dann schon schnaubend in seinem Zimmer gestanden und ihm angedroht, in der Gartenhütte schlafen zu müssen, wenn er weiter die Nachtruhe störte. Aber das hatte Harry nicht beeindruckt. Er wusste längst, dass dies sein letzter längerer Aufenthalt bei seinen Verwandten sein würde und er war ohnehin nur hierher zurückgekehrt, weil es Dumbledores ausdrücklicher Wunsch gewesen war.
Anfangs hatte er noch Zweifel, ob der Schutzzauber über dem Ligusterweg nach Dumbledores Tod überhaupt noch wirksam sein würde. Doch nachdem Mad-Eye Moody ihm versicherte, dass dies unabhängig davon noch immer der sicherste Ort für Harry war, ist er schließlich einverstanden gewesen.
Wohin hätte er auch gehen sollen? Anfangs wollte er an den Ort zurückkehren, an dem seine Eltern gelebt hatten, doch das Haus in Godric’s Hollow war bei dem Angriff von Lord Voldemort vor 16 Jahren völlig zerstört worden. Deshalb würde er dort nur die Gräber seiner Eltern finden.
Im Grimmauldplatz Nummer 12 würden ihn dagegen zu viele Erinnerungen an Sirius belasten. Er hatte sich dort nie wirklich zu Hause gefühlt und da Snape das ehemalige Hauptquartier des Phönixordens kannte, erschien es ihm nun ohnehin nicht wirklich sicher zu sein, sich dort dauerhaft aufzuhalten.
Sicher würden ihn die Weasleys im Fuchsbau aufnehmen, wenn er sie darum bitten würde, aber angesichts der Ereignisse dieses Sommers wollte Harry doch lieber erst einmal allein sein und sich darüber klar werden, wie er die anstehenden Aufgaben angehen könnte. Außerdem würde ihm im Fuchsbau Ginny ständig über den Weg laufen und er wusste, dass er das nicht ertragen könnte. Es hatte ihn schon genug Überwindung gekostet, sich von ihr zu trennen und sich immer wieder vor Augen zu führen, dass er sie nicht in Gefahr bringen durfte. Aber nun ständig der Versuchung widerstehen zu müssen, sie tröstend in den Arm nehmen zu wollen, das würde er wohl nicht aushalten.
Immer wenn er an Ginny dachte, zog sich in seinem Bauch alles zusammen und sein Herz wollte ihm aus der Brust springen. Dann merkte er, wie sehr sie ihm fehlte. Gerne hätte er dem Drängen seines Herzens nachgegeben, ihr geschrieben, ihr seine wahren Gefühle mitgeteilt, doch am Ende siegte immer sein Verstand, der ihm sagte, dass sie Abstand zueinander gewinnen müssten, um den Todessern keinerlei Angriffsflächen zu bieten. So landeten alle Briefe an Ginny, die Harry begonnen hatte, kurz darauf immer in seinem Papierkorb.
Doch dann kam ihm plötzlich ein anderer Gedanke: Was wäre, wenn er sowieso bald von Voldemort erledigt werden würde? Sollte er dann nicht wenigstens die Zeit, die ihm noch bleiben würde mit dem Mädchen genießen dürfen, das er liebte? Durfte er denn in seinem kurzen Leben nicht einmal so richtig glücklich sein?
Doch Harry schob diese Gedanken beiseite, denn er wusste, dass er es sich nie verzeihen würde, wenn Ginny etwas zustoßen würde, nur weil sie mit ihm zusammen gewesen ist. An das schlechte Gewissen, das er dann gegenüber Ron und seinen Eltern hätte, mochte er erst gar nicht denken. Oft dachte er daran, dass die Todesser Ginny benutzen könnten, um an Harry heranzukommen, sie foltern oder sogar umbringen könnten. Nein, das durfte er nicht zulassen. Lieber sollte sie mit einem anderen Jungen glücklich werden, als seinetwegen so früh sterben zu müssen.
Die Morgensonne schien hell zu Harrys Fenster herein und traf ihn jetzt im Gesicht. Vom Licht geblendet kniff er die Augen zusammen und richtete sich auf seinem Bett auf. Sein Blick fiel auf den Kalender, der den 27. Juli anzeigte. Gähnend reckte und streckte er sich.
Sein Blick fiel auf Hedwigs Käfig. Seine Eule war in der Nacht auf der Jagd gewesen und schlief nun. Auf seinem Tisch lagen noch die Briefe von Hermine und von Ron. Sie hatten versucht, ihn zu überreden, doch wieder mit ihnen am 1. September nach Hogwarts zurückzukehren, doch für Harry war die Zaubererschule nach dem Tod von Dumbledore nicht mehr derselbe Ort. Nachdem der Angriff der Todesser allen klar gemacht hatte, dass die Schule kein Ort war, an dem man sicherer sein konnte, als anderswo, hatte es in der Zaubererwelt wildeste Diskussionen um die Sicherheitsvorkehrungen für die Schule gegeben.
Nachdem das Ministerium sich gegen eine Schließung der Schule ausgesprochen hatte, wurden noch deutlich höhere Sicherheitsvorkehrungen vom Ministerium für die Schule angeordnet. Das war für viele Eltern auch die Bedingung dafür gewesen, dass sie ihre Kinder überhaupt wieder nach Hogwarts schicken würden.
Professor McGonagall hatte in ihrer Eigenschaft als neue Schulleiterin im Tagespropheten vom 20. Juli einen eindringlichen Appell an alle Eltern und Schüler gerichtet, dass die Kinder im neuen Schuljahr wieder nach Hogwarts fahren müssten. Sie erklärte, dass man Lord Voldemort und seinen Todessern nicht den Triumph gönnen dürfe, dass wegen ihres gemeinen und hinterlistigen Angriffs die Schule geschlossen und damit die Ausbildung des kompletten Zauberernachwuchses gefährdet werden würde.
Das Ministerium und der Orden des Phönix würden so lange für eine gute Ausbildung des Zauberernachwuchses eintreten, wie dies möglich sei. Es sei ganz im Sinne des verstorbenen Schulleiters Albus Dumbledore, wenn der Unterrichtsbetrieb so schnell wie möglich wieder aufgenommen und fortgesetzt werden würde. Auch Rufus Scrimgeour, der Zaubereiminister, hatte diesen Appell unterzeichnet.
Es klopfte an Harrys Tür. Onkel Vernon steckte den Kopf herein und sagte: „Na? Bist du auch schon aufgestanden, du Faulpelz? Wir fahren jetzt in die Stadt, um für Dudley eine neue Playstation zu kaufen. Glaub ja nicht, dass du eine Chance hättest, die alte zu bekommen, die wird unter Verschluss aufbewahrt, falls die neue Playstation mal kaputt ist. Wenn wir wieder zurück sind, dann erwarten wir, dass unser Rasen frisch gemäht, ist das klar?“
„Ja, ist gut.“ sagte Harry, immer noch gähnend. Er hatte es schon lange aufgegeben, gegen die ständige Schikanierung durch seine Verwandten anzukämpfen. Am ehesten ließen sie ihn in Ruhe, wenn er das tat, was sie wollten. Als die Tür wieder zu war, zog er sich an und blickte aus dem Fenster in den Garten. Der Rasen stand wirklich schon recht hoch, das würde ihn sicher den ganzen Vormittag beschäftigen. Aber er hatte im Augenblick ja ohnehin nichts Wichtiges zu tun, dachte er sich.
Draußen hörte er Dudley die Treppe hinunterstampfen und kurz danach vernahm er, wie die Haustür zugeschlagen wurde.
Harry ging hinunter in die Küche, aß etwas Müsli zum Frühstück und ging dann in den Garten an die Arbeit.
Einige Zeit verging, Harry hatte bereits eine beträchtliche Fläche gemäht und die Sonne stand schon recht hoch am Himmel, als er zwei Eulen am Horizont bemerkte.
Harry beschloss, sich eine Pause zu gönnen, schaltete den Rasenmäher ab und machte es sich in einem Liegestuhl bequem. Die erste Eule stammte aus Hogwarts, die zweite erkannte Harry sofort. Es war Pigwidgeon, Rons kleine Eule. Er stellte den Eulen etwas Wasser hin und gab ihnen jeweils einen Eulenkeks aus seiner Hosentasche. Dann öffnete er zunächst Rons Brief und las:
Lieber Harry,
nachdem Du meinen letzten Brief nicht beantwortet hast, denke ich, steht Dein Entschluss wohl fest. Du willst tatsächlich nicht nach Hogwarts zurückgehen. Wenn Du es willst, werde ich es dann auch nicht tun, um Dir bei Deiner Aufgabe helfen zu können. Unmöglich kann ich Dich jetzt allein mit Deinen Problemen lassen, auch wenn Mum mir deswegen wohl einen Riesenaufstand bescheren wird, nachdem schon Fred und George die Schule nicht zu Ende gemacht haben.
Mein Brief hat aber noch einen anderen Anlass. Bill und Fleur haben mich gebeten, Dir ihre Einladung zu ihrer Hochzeitsfeier am 26. August zu übermitteln. Die Feier soll hier im Fuchsbau stattfinden und alle sind schon in heller Aufregung, vor allem meine Mutter, wie Du Dir denken kannst. Mum und Dad haben beim Ministerium eine Sondergenehmigung beantragt, um die Unterkünfte für Fleurs Verwandtschaft in unseren Garten zu zaubern. Dad sagt, das wäre so ein ähnlicher Zauber, wie er ihn bei den Zeltunterkünften während der Quidditch-Weltmeisterschaft eingesetzt hat.
Mum hat angeboten, dass Du nach der Hochzeit gleich hier bei uns bleiben könntest, um dann mit uns gemeinsam nach Hogwarts zu fahren. Ich habe mich noch nicht getraut, ihr und Ginny von Deinen Plänen zu berichten.
Hermine ist zur Zeit mit ihren Eltern nach Irland in den Urlaub gefahren, aber ich denke, sie wird zur Hochzeit kommen und dann gleich von hier aus nach Hogwarts aufbrechen.
Hoffentlich geht es Dir gut und Deine Verwandten lassen Dich in Ruhe, wie es Moody ihnen eingetrichtert hat..
Bis bald, Dein Ron.
Über Harrys Gesicht machte sich ein Lächeln breit. Na klar, die Hochzeit. Die hatte er ja ganz vergessen. Vielleicht würde ihm die Ablenkung gut tun. Aber wie sollte er Mrs. Weasley klarmachen, dass er nicht zurück nach Hogwarts fahren konnte? Er musste irgendeinen Vorwand finden, damit sie ihn nicht ausfragen würde. Pigwidgeon zwickte ihn kräftig. Offenbar hatte Ron ihm aufgetragen, nicht ohne Harrys Antwort zurückzukehren.
„Ganz ruhig. Ich gebe Dir gleich einen Brief mit zurück. Du kannst so lange zu Hedwig fliegen. Das Fenster ist offen.“ Mit einem zufriedenen Glucksen verschwand Pigwidgeon im Fenster zu Harrys Zimmer.
Harry wandte sich nun dem zweiten Brief zu. Er kam von Professor McGonagall, die nun, wie früher Dumbledore das Siegel des Schulleiters von Hogwarts verwendete.
Lieber Mr. Potter,
vor wenigen Tagen wurde der Nachlass von Albus Dumbledore eröffnet. Er hat mich in seiner letztwilligen Verfügung zur Testamentsvollstreckerin ernannt. Von den Gegenständen seines Nachlasses hat er auch Ihnen etwas zugedacht und mich angewiesen, Ihnen diese Dinge möglichst bald nach seinem Tode zu übergeben. Deshalb denke ich, dass es nicht ausreichend wäre, bis zum Beginn des neuen Schuljahres zu warten. Bitte senden Sie mir eulenwendend einen Vorschlag für einen persönliche Übergabetermin hier in Hogwarts zu. Ich werde Sie dann im Ligusterweg durch einige Auroren oder Ordensmitlieder abholen lassen. Bitte behandeln Sie diese Angelegenheit höchst vertraulich und erzählen Sie bitte niemandem etwas davon.
Hochachtungsvoll,
Ihre Minerva McGonagall
Schulleiterin von Hogwarts.
Harry starrte den Brief mit offenen Augen an. Dumbledore hatte ihm etwas vererbt? Hatte er ihm noch nicht alles über die Horcruxe und über Voldemort erzählt? Worum konnte es sich dabei handeln? Er hatte nicht gedacht, dass er jemals wieder nach Hogwarts zurückkehren würde, schon gar nicht in diesem Sommer. Aber wenn es Dumbledore so gewollt hatte, musste es wohl sehr wichtig sein und Harry würde dafür natürlich eine Ausnahme machen.
Ein Geräusch ließ Harry aus seinen Gedanken aufschrecken. Es war das Quietschen des Gartentores.
„Sieh an, unser Herr Faulpelz sonnt sich hier im Liegestuhl, anstatt sich seiner Arbeit zu widmen? Weitermachen, aber wird’s bald!?“ Harry bemerkte, wie sehr es Onkel Vernon genoss, ihn herum zu kommandieren. Dudley grinste breit und hielt einen großen und bunten Karton in der Hand.
Harry kritzelte schnell auf einen kleinen Zettel die Worte: „Prof. McGonagall, ich schicke Ihnen heute abend Hedwig wegen dem Terminvorschlag“ und band ihn am Fuß der Schleiereule fest. Zur Bestätigung biss sie Harry liebevoll in den Finger und flog davon.
Während er den Rasenmäher wieder anließ, war Harry mit seinen Gedanken wieder bei dem Inhalt von McGonagalls Brief.