Titel: The bouquet of wild flowers
Autor: Jane Austen
Altersbeschränkung: ab 14 Jahre
Genre: Romanze, Drama, Fantasie
Hauptcharakter: Lily Evans, James Potter
Inhalt:
Wir machen eine kleine Zeitreise und landen im Jahre 1912. Die magische Welt wird von Lord Voldemort unterdrückt. Zauberer und Hexen müssen ihre Existenz geheim halten und dürfen keinen Kontakt zu Muggeln haben. (Also gibt es keine Muggelgeborene!)
Die achtzehnjährige Lily Evans ist ein ganz normales Mädchen, das im Rollstuhl sitzt und nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrer strengen Tante und Onkel leben muss, die der Meinung sind, Lily müsse heiraten. Sie zwingen Lily zu einer arrangierten Ehe mit dem reichen Vernon Dursley, der die schlecht finanzielle Lage der Familie retten soll. Lily, die alles andere als einverstanden ist, versucht zu fliehen, um ihren Pflichten zu entkommen, wird aber dann von Todessern überfallen, die Lily zum Spaß umbringen wollen. Unter ihnen befindet sich der Zauberer James Potter, ebenfalls ein Todesser, der Lord Voldemort sehr nahe steht, Lily zum Entsetzen aller hilft und durch die Liebe zu ihr jede Regel bricht...
Anmerkungen:
Wie man schon am Inhalt erkennen kann, ist diese FF etwas anders, wahrscheinlich eine sehr verrückte Idee und nicht für jeden Geschmack geeignet. Da ich aber der Meinung bin, dass es genug FFs gibt, die im siebten Schuljahr von James und Lily spielen, habe ich mir erlaubt ein paar Fakten zu ändern und die Charakter in eine andere Zeit zu „setzen“. (Eigentlich lebten Lily, James, Voldemort etc. ja 1912 noch nicht.)
Jede Kritik ist erwünscht. Ich weiß ja, dass die Idee dieser FF sehr...gewöhnungsbedürftig ist, oder schwachsinnig?
Gefühle sind das, was du nicht beschreiben kannst
1. Alltag im Gefängnis
Eine leise und sanfte Musik erfüllte das kleine Schulzimmer, als ich meinen Blick auf die Tasten des alten Klaviers senkte und meine Finger-zitternd vor Nervosität und voller Angst einen Fehler zu machen- langsam über das wertvolle Elfenbein wanderten.
So steif, dass man hätte meinen können, mir wurde eine scharfe Klinge an die Kehle gehalten, die Stirn in Falten gelegt und die Zungenspitze konzentriert zwischen die Lippen geschoben, saß ich vor dem Instrument, welches ich abgrundtief hasste, während ich vergeblich versucht das lange Lineal zu ignorieren, das keine zehn Zentimeter über meinen Händen schwebte, jede meiner Bewegungen genau verfolgte.
Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass die blassen Augen meiner Klavierlehrerin mich fixiert hatten wie ein Jäger seine Beute, denn diese Todesblicke und dieser störrische Schrecken von einem Holzstab waren der Grund warum ich nachts keine Ruhe mehr fand und das seit nun schon drei Monaten.
Dass Miss Wilkinson-Hume jemals Konkurrenz bekommen könnte, hätte ich nie für möglich gehalten, bis ich Bekanntschaft mit Miss Shadlock machen durfte, die wie Blitz in mein Leben eingeschlagen war und offenbar Miss Wilkinson-Humes Tradition fortführen wollte -die Hölle, in die ich geboren worden war noch unerträglicher zu gestalten.
Zu meinem eigenen Wohl, wie sie behauptete.
Seit ich denken konnte, war Miss Wilkinson-Hume meine Erzieherin und Hauslehrerin gewesen. Siebzehn Jahre lang hatte sie mich gedemütigt, mir alle endlosen Regeln der Höflichkeit und des guten Benehmens so lange in den Kopf gepflanzt, bis sie mir fast aus den Ohren geflossen waren, mir erst Pausen gegönnt, wenn ich alle schrecklichen lateinischen Zeitformen im Schlaf aufsagen konnte.
Am schlimmsten jedoch war gewesen, dass sie an mir geklebt hatte wie mein zweiter Schatten. Keine Sekunde war sie von meiner Seite gewichen, immer bereit mich wegen irgendwelchen Nichtigkeiten zu tadeln.
„Lilian, ist das da eine Falte in deinem Kleid?“
„Lilian, benutzt du etwa das Fischmesser für dein Steak?“
Herrgott, mit diesen Verbrechen hatte ich bestimmt die ganze Welt empört!
Ich hatte Tränen der Erleichterung vergossen, als diese grässliche Frau mit einem „Lebt wohl“ durch die Tür verschwunden war.
Vielleicht hätte ich zum ersten Mal etwas Privatsphäre bekommen, obwohl meine Tante und die Hausangestellten mich mit Argusaugen bewachten, wäre Miss Shadlock nie zur Teegesellschaft meiner Tante erschienen und hätte ihr erzählt, dass heutzutage jede wohlerzogene junge Dame Klavier spielte.
Kaum war diese Information zu meiner Tante durchgedrungen und in ihrem Gehirn abgespeichert, hatte sie Miss Shadlock, die ganz zufällig Klavierunterricht gab, beauftragt es mir beizubringen.
So quälte ich mich Tag für Tag durch die Stunden, während ich mich fragte, wann meine Tante endlich begreifen würde, dass ich völlig untalentiert war.
Ohne mein Spiel zu unterbrechen, schielte ich vorsichtig zu Miss Shadlock rüber, die aufrecht wie ein Soldat neben mir stand. Ihr knochige Hand umschloss wie erwartet mit aller Kraft das Lineal, das immer noch wachsam meinen Fingern folgte. Einzelne weiße Strähnen hatten sich von ihrem Haarknoten gelöst und tanzten vor ihrem Gesicht, das zu einer merkwürdigen Grimasse verzogen war, als ob sie in eine sehr saure Zitrone beißen würde. Ihre Wangen waren gerötet, die Lippen über ihre Pferdezähne gespitzt, als wollte sie jemandem küssen-alles Zeichen dafür, dass sie erschöpft und entnervt war.
Ich wusste, dass es sich nicht gehörte, aber ein wenig Schadenfreude konnte ich nicht unterdrücken.
Der Geduldsfaden war ihr schon vor Wochen gerissen. Sie hatte längst verstanden, dass ich was das Klavierspielen betraf ein hoffnungsloser Fall war.
Zu meinem Bedauern, würde sie das nie zugeben. Dafür war die Bezahlung viel zu großzügig. Eine Sache, die mich besonders störte.
Meine Tante wusste doch genau, dass wir zur Zeit finanzielle Probleme hatten. Da waren unnötige Klavierstunden keineswegs das, was wir brauchten. Aber nein, wir mussten ja jeder Mode nacheifern.
Endlich, als Miss Shadlock sich für einen kurzen Moment von mir abwandt und die teuren, dunklen Möbel, die selbst hier im Schulzimmer vorhanden waren, bewunderte, wagte ich einen schnellen Blick auf die große Standuhr, bereute es aber gleich wieder, als ich ein schräges Etwas zwischen dem einigermaßen richtigen Gewebe verflochtener Töne hörte.
Der falsche Ton war nicht einmal ausgeklungen, da spürte ich schon den harten Schlag des Lineals auf meinen Händen, die mit einem Zucken zurückfuhren. Hastig biss ich mir auf die Zunge, um keinen Laut von mir zu geben.
„Lilian, konzentriere dich!“, befahl Miss Shadlock mit ihrer unangehnemen, nasalen Stimme.
Strenge Erziehung, Vernunft und die Befürchtung, meine Tante könnte davon erfahren, hielten mich von einer unartigen Bemerkung ab.
Statdessen murmelte ich knapp: „Verzeihung, Miss Shadlock.“
Miss Shadlock klopfte mir mit dem Lineal auf die Schulter -fest, sehr fest. „Also, nochmal von vorne. Eins, zwei, drei...“
Obwohl sich ein stechender Schmerz in meinen Händen ausbreitete und ich mit dem fast unwiederstehlichen Drang kämpfte, über sie zu reiben, legten sich meine Finger gehorsam wieder auf die Tasten und begannen, das Lineal über ihnen schwebend, zu spielen.
Es verstrichen mehrere Minuten, in denen ich es tatsächlich schaffte meine Aufmerksamkeit ausschließlich der Komposition zu schenken, die sogar der Mozarts ähnelte, bis die Türglocke Miss Shadlock und mich aufschrecken ließ.
Innerlich seufzte ich erleichtert auf. Dem Himmel sei Dank!
Diese Glocke läutete jeden Tag pünktlich um halb fünf meine Freiheit ein. Nun, zumindest erlöste sie mich aus diesem Albtraum von Klavierstunden.
Meine Retterin war meine Tante, die um diese Uhrzeit vom Tee bei den Nachbarn zurückkehrte und gleich ins Schulzimmer rein marschiert kommen würde.
Ich nutzte den Augenblick, den Miss Shadlock wie gewöhnlich damit beschäftigt war ihre Röcke glatt zu streichen, den Kragen ihrer hochgeschlossenen Spitzenbluse zu richten und ihr Haar zu ordnen (Welche Mühe sie sich gab, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.) und blickte aus dem Fenster. Enttäuscht stellte ich fest, dass es regnete.
Dicke Wolken bedeckten den Himmel. Durch den Regen wirkte London grau, trostlos und wegen des dichten Nebels erkannte man die Häuser, vorbeiziehenden Kutschen, Menschen, die durch die Straßen eilten und die luxuriösen Automobile, die mein Onkel als Geschenk der Neuzeit bezeichnete, nur verschwommen.
Aus der Eingangshalle vernahm ich Geräusche, die ohne jeden Zweifel von meiner Tante stammten, die sich, lauthals über den ungenießbaren Tee der Cuddfords klagend, von Sebastian, dem Butler, aus dem Mantel helfen ließ.
„Miss?“ Eine schüchterne Stimme drang in meine Ohren.
Ich wandte mich um und sah in das junge, hübsche Gesicht meiner Zofe Ruby.
„Brauchen Sie einen kalten Lappen?“, fragte sie und musterte mich so besorgt, als würde ich im Sterbebett liegen.
Ich schaute auf meine schmerzenden Hände runter, die sich in den schottengemusterten Stoff der Wolldecke gekrallt hatten, in die meine Beine eingewickelt waren und warm halten sollte und bemerkt erstaunt, dass meine Knöchel dunkelrot gefärbt waren.
Wie oft hatte mich der Schrecken des Holzstabes denn heute erwischt?
„Nein!“, sagte ich rasch. „Es geht schon. Danke, Ruby.“
Rubys himmelblauen Augen betrachteten mich zweifelnd.
„Es ist wirklich alles in Ordnung“, beteuerte ich. Ihre Sorge rührte mich sehr, dennoch wollte oder besser ausgedrückt durfte ich keine Schwäche zeigen, obwohl ein kühles Tuch, das dieses entsetzliche Pochen bändigte, ein verlockendes Angebot war.
Ich setzte ein möglichst überzeugendes Lächeln auf, aber Ruby durchschaute mich sofort. Sie war die einzige Person, die hinter meine Fassade blicken konnte.
Ruby gab schließlich nach, wenn auch wiederwillig und eine Augenbraue missbilligend gehoben, machte einen Knicks und zog sich in die Ecke zurück, in der sie, still wie ein Mäuschen und mir mitleidvolle Blicke zuwerfend, gekauert hatte. Sie war sich meiner Sturheit bestens bewusst. Diese war einer meiner Eigenschaften, die Miss Shadlock, meiner Tante und meiner Erzieherin schon einiges an Kraft gekostet hatte.
„Sturheit ist keine Tugend, Lilian“, hatte Miss Wilkinson-Hume kopfschüttelnd gesagt. „Und gewiss nicht etwas, worauf man stolz sein sollte.“
Selbstverständlich.
Unterdessen galt mein Blick erneut der Standuhr -fünf nach halb fünf.
„Drei, zwei, eins...“, zählte ich leise.
„Nun, machen wir Fortschritte?“ Mit energischen Schritten (Mich wunderte es immer wieder aufs Neue, wie schnell ihre kurzen Beine sie tragen konnten) betrat meine Tante, den dicken Bauch so gut es ging unter einem Korsett versteckt und in ein elegantes blaues Kleid aus Satin gezwängt, das mit jeder ihrer Bewegungen zu platzen drohte und einen merkwürdigen Kontrast zu der roten Tapete der Wände bildete, den Raum. Die Falten in ihrem Mopsgesicht wirkten noch tiefer, gefüllt mit Aufregung und ich fragte mich, worüber sie sich so geärgert hatte.
Obwohl... Vielleicht war das einer dieser Rätsel, die lieber nicht aufgedeckt werden sollten, außerdem würde ich es spätestens beim Abendessen erfahren, wenn sie darüber schimpfen oder spotten würde.
Hinter ihr tauchte das Dienstmädchen Hope auf, den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, als fürchtete sie, meine Tante würde gleich ein Gewehr hervorzaubern und auf sie schießen.
„Steh gefälligst gerade!“, fuhr meine Tante sie im gebieterischen Ton an und Hope zuckte am ganzen Leib erschrocken zusammen.
Ich spürte, wie eine Welle Mitleid mich überrollte. Armes Ding. Sie war keine sechzehn, neu bei uns und hatte sich noch nicht richtig eingelebt. Besonders mit meiner Tante schien sie nicht zurechtzukommen. Verständlich, da diese ein wenig...gewöhnungsbedürftig war.
Hope, bebend vor Angst, strafte den Rücken.
„Schon besser“, sagte meine Tante zufrieden, streifte die weißen Handschuhe ab und reichte sie ihr. „Du kannst gehen.“
Hope machte wie Ruby einst einen Knicks und wackelte offenbar auf butterweichen Knien davon.
„Guten Tag, Ma´am“, begrüßte Miss Shadlock meine Tante strahlend lächelnd und deutete eine höfliche Verbeugung an.
„Guten Tag, Tante Elizabeth“, begrüßte ich sie ebenfalls, bemüht respektvoll zu klingen.
„Miss Shadlock.“ Tante Elizabeth neigte leicht den Kopf in ihre Richtung, doch ihre grünen Augen –das Einzige Merkmal, das auf unsere Verwandtschaft hinwies- blieben kalt und ungerührt.
„Lilian entwickelt sich ausgezeichnet“, log Miss Shadlock übertrieben munter drauflos. „Sie ist sehr talentiert.“
Der Zorn kochte in mir auf, so sehr ich mich auch gegen ihn wehrte. Ich atmete ein paar Male tief durch, um mich zu beruhigen und versuchte mir meine Wut nicht anmerken zu lassen.
Gemeine, hinterhältige, einschleimende, heuchlerische...Heuchlerin!
Könnte Tante Elizabeth Gedanken lesen, dürfte ich mir jetzt meinen Grabstein aussuchen.
„Das sind großartige Neuigkeiten“, sagte Tante Elizabeth teilnahmelos und ließ sich auf dem nächstgelegenen Stuhl nieder, der ein gefährliches Knacken von sich gab. „Ich bin davon überzeugt, dass die Eltringhams entzückt sein werden.“
Plötzlich begann sie zu strahlen, als würde man sie von innen beleuchten und verkündete voller Stolz: „Sie geben einen Ball, zu dem viele wichtige Persöhnlichkeiten kommen werden und wir sind eingeladen.“
Alamiert hochrte ich auf. Panik und Unglauben ergriffen mich. Sollte das etwa bedeuten...?
Aus dem Augenwickel sah ich zu Miss Shadlock, die deutlich blasser um die Nasenspitze war.
„Ähm, Ta-tante Elizabeth?“, stammelte ich, trotz aller Bemühungen unbekümmert zu erscheinen. „Willst du damit sagen, dass ich ebenfalls eingeladen bin und“, -ich brachte die Worte kaum über die Lippen-, „Klavier spielen soll?“
Neben mir schnappte Miss Shadlock verzweifelt nach Luft.
Tante Elizabeth blickte mich strafend und empört zugleich an. „Hör auf zu stottern, Kind! Was sind das denn für Manieren? Und selbstverständlich bist du eingeladen. Es wäre auch äußerst unhöflich, wenn nicht.“
Das Blut wich mir aus dem Gesicht und schien in meinen Adern zu gefrieren, aber gleichzeitig meldete sich- wenn auch ganz klein, verkrochen in meinem Bauch- das Gefühl der Hoffnung. Durfte ich endlich raus?
Inzwischen war Miss Shadlock offenbar kurz davor in Ohnmacht zu fallen.
„Aber du kommst natürlich nicht mit“, fuhr Tante Elizabeth fort und schüttelte sich bei der Vorstellung.
Sehr schmeichelhaft, dachte ich sarkastisch und sank enttäuscht in meinem Stuhl zusammen, während Miss Shadlock einen Seufzer ausstieß und wieder ein wenig Farbe annahm.
„Tante Elizabeth?“, sagte ich, ohne nachzudenken. „Könnte ich vielleicht doch mitkommen?“
Dieser Satz war aus meinem Mund gerutscht, ohne dass ich es überhaupt richtig realisiert hatte.
Die von mir vorrausgesehene Reaktion meiner Tante traf augenblicklich ein: Tante Elizabeths Gesichtszüge entglitten. Sie blinzelte ungläubig, wirkte für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich sprachlos, (Meine Tante!) bevor sie mich so entsetzt anschaute, als würde ein nackter Mann vor ihr stehen. „Wie um Himmels Willen kommst du auf so eine Idee?“
Ich räusperte mich. „Nun, ich bin achtzehn Jahre alt und somit alt genug für einen Ball und ich dachte-“
„Kind, haben wir nicht oft genug darüber gesprochen?“, unterbrach sie mich seufzend. Sie klang leicht gereizt.
Der letzte Funken Hoffnung schwand.
„Entschuldige, Tante Elizabeth.“ Ich konnte die Traurigkeit in meiner Stimme nicht verbergen.
Tante Elizabeth seufzte erneut und hievte sich vom Stuhl hoch, der ein weiters Mal knackte und auch ihr Kleid ließ verdächtige Geräusche hören, als würde gleich jede einzelne Naht reißen. „Mein liebes Kind, du weißt, dass es nur zu deinem Besten ist, wenn du im Haus bleibst. Ich will dir nichts böses, sondern dich beschützen. Du weißt, wie die Leute reden und gucken, wenn sie dich sehen. Außerdem was ist mit deinem Onkel? Wie meinst du, würden alle in der Bank reagieren, wenn sie dich sehen? Es wäre ein Skandal! Wir würden unser Ansehen verlieren und unser Name ist das Einzige, was uns noch über Wasser hält. Willst du das?“
„Nein!“, flüsterte ich. Schreckliche Schuldgefühle nagten an mir. „Nein, natürlich nicht.“
Tante Elizabeth kreuzte die Arme vor der Brust und nickte mit wichtigtuerischer Miene. „Das will ich auch schwer hoffen. Es wäre äußerst undankbar von dir so etwas zu wollen, wo wir dich aufgenommen haben, dich großgezogen und durchgefüttert haben, anstatt dich in einem Waisenhaus verrotten zu lassen.“
„Und dafür bin ich euch auch sehr dankbar“, sagte ich ehrlich. Ein dicker Klos bildete sich und steckte wie ein schwerer Steinbrocken in meinem Hals.
Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
„Gut, dann will ich, dass du dich zusammenreißt und mit dieser lächerlichen Gefühlsduselei aufhörst. Du bist kein Säugling mehr.“ Sie zupfte ihre Röcke zurecht und nickte dann Miss Shadlock zu, die wie bestellt und nicht abgeholt am Klavier lehnte und neugierig unserem Gespräch lauschte. „Ich gehe mich fürs Abendessen umziehen. Guten Tag, Miss Shadlock.“
Ich holte tief Luft, strafte die Schultern und setzte eine betont gelangweilte Miene auf -eine Maske. Eine Maske, wie ich sie immer trug, um mein Inneres nicht zu zeigen, in dem ein Chaos aus Trauer, Wut und Schmerz tobte.
Tante Elizabeth war an der Eichentür angelangt. Ihre kleinen Wurstfinger umschlossen bereits die Klinke, als sie sich noch einmal zu mir umdrehte und mich spöttisch anfunkelte.
„Wie hättest du überhaupt zum Ball transportiert werden sollen?“ Sie gluckste und Miss Shadlock lachte gekünstlich.
Mit einem Mal fiel die Maske. Mein Körper verkrampfte sich, mein Hände gruben sich so fest in die Wolldecke, dass das Rot meiner Knöchel wich und sie statdessen weiß hervortraten. Tränen bahnten sich den Weg nach draußen.
Nein. Ich durfte nicht weinen. Nicht vor Tante Elizabeth und Miss Shadlock.
Nur Kleinkinder weinen, nicht erwachsene junge Damen, erinnerte ich mich.
Zu meinem Ärger umsonst.
Hastig senkte ich den Kopf und wischte mir unaufällig mit dem Ärmel über die Augen. Ich sah erst wieder auf, als die Tür hinter Tante Elizabeth zu gefallen war und Miss Shadlock ihre Sachen zusammengepackte hatte und ebenfalls verschwunden war.
Tante Elizabeth hatte einen sehr wunden Punkt getroffen.
Schon mein ganzes Leben lang hatte ich mich mit einem Problem auseinandersetzen müssen. Ich konnte nicht laufen.
Ich war gekettet an einen Rollstuhl und eingesperrt in meinem eigenen Zuhause.
Es war wie im Gefängnis.
Liebe ist, wenn Verstand und Logik dich verlassen