Bitte sei nett zu mir und wirf mich nicht weg!
Wenn du mich nicht magst,
verschenke mich weiter an ein Kind!
Merry Christmas!
"'Sei nett zu mir...' " murmelte er irritiert, "So ein Unsinn!"
Das Ding war ja schon irgendwie niedlich, aber was sollte er mit soetwas? Das war ja peinlich!
Und wie würde er erst aussehen, wenn er es einem Schüler schenkte?
Severus erschrak und schaute den Gang auf und ab, doch es war niemand zu sehen. Glück gehabt!
Schnell lud er sich Stoffhase, Päckchen und Tannenreisig auf die Arme und trug sie in sein Zimmer, wobei er mit der Ferse die Tür zuschlug.
Er legte alles auf seinem Tisch ab und setzte sich mit einem kurzen, leicht genervten Seufzen auf einen Stuhl. Dann nahm er das Paket und löste die rote Schleife, die es verschloss. Als er das Papier entfernte, kam darunter ein kleines, versiegeltes Holzkästchen zum Vorschein.
Er öffnete es vorsichtig und sah hinein. Es enthielt drei gesponnene Seidenkokons, die genau den zartvioletten Farbton aufwiesen, der für die Puppen des südamerikanischen Morado-Schmetterlings typisch war. Diese Insekten ernährten sich von Aas und faulenden Pflanzen und sonderten ein Gift ab, das für eine Reihe von hochspezialisierten Zaubertränken unentbehrlich war. Leider gab es nur eine äußerst geringe Population von diesen Faltern, sodass man kaum an das Gift herankam. Diese drei Puppen waren eine Menge Geld wert. Er könnte sie vielleicht im Gewächshaus 2 ansiedeln... Wenn Pomona es erlaubte.
Auf jeden Fall verrieten sie wesentlich mehr Geschmack als der Hase. Severus konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer auf die absurde Idee kommen würde, ihm einen Stoffhasen zu schenken.
Besagter Hase saß auf der Tischplatte und schaute Severus an, machte sonst aber nichts. Vielleicht blieb er ruhig, wenn man ihn in eine Schublade tat und einfach ignorierte.Severus legte den Holzkästchen weg und stand auf. Er stopfte das Stofftier in die Nachttischschublade und ging zur Tür, um endlich zum Frühstück zu kommen.
Als er die Klinke berührte, überfiel ihn plötzlich ein unwillkommenes Gefühl: Der Hase tat ihm irgendwie leid.
Severus kämpfte mit sich. Es konnte doch nicht sein, dass ihm ein so lächerliches Ding Gewissensbisse bereitete...?!
Nein, er würde es nur schade finden, dieses durchaus interessante Stück Zauberkunst nicht länger beobachten zu können! Er war nur neugierig, welche Fähigkeiten das Tier noch zeigen würde! Wie gut war der Zauber wirklich?
Außerdem kam ja sowieso niemand in sein Zimmer, also würde es nie jemand herausfinden.
Severus ging nochmal kurz zurück, setzte den Hasen auf seinen Nachttisch und ging zum Essen.
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Annekatrin quälte sich aus dem Bett und zog sich gähnend an. Heute würde sie sich nur mit leckerem Tee und einem Buch abgeben und den Rest der Welt ignorieren. Aber ein Frühstück wäre schon nicht schlecht...
McGonagall hatte ihr einen Gryffindor-Schal geschenkt, den sie sich auch gleich um den Hals wickelte, was im Haus zwar ein bisschen übertrieben wirkte, aber er war so schön warm und weich … wie eine Bettdecke zum mitnehmen.
Als sie die Große Halle betrat, kam ihr gerade Snape durch den Gang neben dem Slytherin-Tisch entgegengeschritten. Annekatrin musste lächeln.
Snape sah aus, als würde er über etwas nachgrübeln – wahrscheinlich über den geheimnisvollen Schenker –, war aber noch geistesgegenwärtig genug, die Hand auszustrecken und einen Ravenclaw-Erstklässler am Arm zu packen, der soeben, von seinem Freund im Spaß verfolgt, lachend an Annekatrin vorbeigerannt war und sich auch an Snape vorbeischlängeln wollte.
„Hier wird nicht gerannt. Lauf ordentlich!“ sagte Snape streng, „Sonst machst du noch etwas kaputt oder ...“ er beugte sich drohend zu dem Jungen runter „... fällst hin!“ Er klang nicht so, als würde ihm das großartig Leid tun.
Hatte der schon wieder eine Laune! Noch nicht mal zu Weihnachten hörte er auf, seine Mitmenschen zu piesacken.
Der andere Junge war erschrocken stehengeblieben, als er sah, wem sein Kamerad da in die Finger geraten war.
„Na, ängstigen Sie schon wieder die Schüler?“ fragte Annekatrin betont gelangweilt, als sie direkt vor Snape zu stehen kam. Der ließ den Jungen los, welcher sich schleunigst aus dem Staub machte, und schaute Annekatrin genervt an.
„Was geht Sie das an?“ fragte er kalt, „Dieser Schüler gehörte nicht zu Ihrem Haus.“
„Es geht mich ziemlich viel an, da ich – genau wie Sie – Lehrer an dieser Schule bin, was mir eine gewisse Verantwortung auferlegt!“ Sie sprach die letzten Worte präzise betont und näherte sich in ihrem Tonfall dem von Snape stark an.
„Wollen Sie etwa andeuten, ich hätte kein Verantwortungsgefühl?“ Snapes Frage war eine einzige Herausforderung.
Annekatrin antwortete gespielt erstaunt: „Oh, ist das Ihr Gewissen, das meine Worte so interpretiert?“ Dann wurde ihre Stimme zuckersüß: „Oder sollte ich mich irren – haben Sie am Ende gar keins?“
Snape schwieg und starrte Annekatrin mit zusammengebissenen Zähnen an.
„Fröhliche Weihnachten!“ flötete sie und schwebte an ihm vorbei Richtung Lehrertisch. Als sie ihn passierte, sah sie, wie er plötzlich die Stirn runzelte. Sein Blick war von ihr weg zu einem weiter entfernten Punkt geglitten.
Sie drehte sich mitten im Schritt um, sodass sie in dieselbe Richtung schaute, wie er.
An nächsten Tische hatte sich eine Schülerin zu ihrer Freundin hinübergebeugt und zeigte verhalten auf Annekatrin und Snape. Die andere begann zu kichern und schaute dem Finger hinterher. Als die Mädchen bemerkten, dass die Lehrer zurückschauten, fuhren sie sofort auseinander und betrachteten interessiert die Tischplatte.
Annekatrin sah zu Snape. Er schien immer noch zu rätseln, was der Grund des Gelächters war. Sie blickte sich um und fand ihn.
„Offenbar erwarten die Zwei, dass Sie mich küssen.“ sagte sie zu Snape. Er drehte den Kopf und sah Annekatrin an, als wäre sie geistesgestört.
Sie wandte die Augen demonstrativ zur Decke.
Er folgte ihrem Blick und bemerkte nun ebenfalls den Mistelzweig, der an einem Balken über ihnen befestigt war.
Snape schaute wieder zu Annekatrin und machte ein Gesicht, als wäre es einzig und allein ihre Schuld, dass er an diesem Ort gelandet war. Als hätte sie ihn verschleppt und hier ausgesetzt.
Dann stürmte er an ihr vorbei und ging mit langen Schritten zum Ausgang.
Annekatrin konnte nicht anders als kurz über ihn zu lachen, aber im Herzen fühlte sie einen Stich. So ein Kuss wäre mal eine nette Abwechslung von den ständigen Streitereien gewesen...
Der Rest der Weihnachtsferien verlief ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Man fraß sich voll, erzählte Geschichten aus der Jugend und arbeitete bisweilen ein paar Sachen auf, die während des vergangenen Halbjahres liegengeblieben waren.
Der See war immer noch zugefroren, sodass Annekatrin am Silvestertag ein Eisstock-Turnier anregte, an dem alle Schüler, die in der Schule geblieben waren, teilnahmen.
Annekatrin wusste, dass einige von ihnen ihre Eltern an die Todesser verloren hatten und deshalb nicht nach Hause gefahren waren. Wenigstens hatte Hannah Abbot Onkel und Tante, die sie über die Feiertage zu sich einluden, im Gegensatz zu Mordred Hazlewood, dem Slytherin-Sucher, der einsam und traurig am Ufer saß und dem Spiel nur zusah. Seine Eltern waren eine Woche vor Weihnachten von Todessern gefoltert und ermordet worden, weil sie sich Voldemort nicht anschließen wollten. Der Junge war der letzte Spross der alten Familie und hatte keine Verwandten mehr. Sogar die Beerdigung des Ehepaares musste vom Zaubereiministerium organisiert werden, das auch die Vormundschaft über Mordred übernommen hatte.
Annekatrin hatte ihn bereits gefragt, ob er nicht mitspielen wollte, aber er hatte lediglich den Kopf geschüttelt und sie wollte ihn nicht weiter drängen. Es war besser, wenn er richtig trauerte, als sich nur abzulenken.
Der Januar verlief relativ ereignislos, abgesehen davon, dass Annekatrin einmal mit Tonks, Lupin, Bill und McGonagall nach Hogsmeade spazierte. McGonagall wusste einiges über die Geschichte des Zaubererdorfes und Annekatrin hörte interessiert zu, als die Direktorin sie durch das Städtchen führte. In Deutschland gab es keine reinen Zaubererdörfer, was sie eigentlich sogar schade fand. Zwar freute sie sich, dass durch das enge Zusammenleben mit den Muggeln auch nicht so viele Vorurteile in den magischen Köpfen herumspukten, aber solchen altertümlichen Charme wie in Hogsmeade fand man dadurch leider auch nirgends.
In der dritten Januarwoche spielten dann endlich Ravenclaw gegen Hufflepuff und zwei Wochen später gegen Slytherin, von denen sie geschlagen wurden. Snape gab sich keine Mühe, seinen Triumph zu unterdrücken.
Gryffindor mussten sich jetzt wirklich anstrengen um den Quidditch-Pokal noch zu bekommen. Aber bei Merlin – beim nächsten Spiel würden sie gewinnen!