Harry Potter braucht Schulverbot
Der Zauberlehrling Harry Potter soll Unterrichtslektüre für die gymnasiale Oberstufe werden. Dies wäre eine Absage an alle Klassiker der englischen Literatur
Von Heike Ejoh
Was nur hat sich das Kultusministerium bei der Idee gedacht, Harry Potter im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe lesen zu lassen und den guten, alten William Shakespeare auf die Reservebank zu verweisen? Vielleicht wirkten magische Kräfte bei dieser Entscheidung, vielleicht waren dunkle Mächte am Werk? Da konkurriert plötzlich das Globe in London, das elizabethanische England, die Liebe, die Komplexität der Geschlechter und die Zweifel an der gesellschaftlichen Ordnung, die Shakespeare thematisiert hat, mit dem Internatsleben einiger Zaubersprösslinge in Hogwarts, einem Internat zu dem man gelangt, wenn man durch eine Mauer auf dem nicht existierenden Gleis neundreiviertel des King's Cross-Bahnhofes in London geht. Man kann nur hoffen, das Shakespeare bei diesem Zauber gewinnt.
Ich habe nichts gegen Harry Potter. Wirklich nicht. Ich mag mystische Geschichten. Aber angesichts des Anspruches, dass das Abitur eine Reifeprüfung ist, die den Schüler zum Besuch einer Universität befähigen soll, erscheint mir die Analyse von schwarzen Zauberhüten, der Sinn von Blitznarben und das ohnehin immer noch in Deutschland als Ausnahme zu sehende Internatsleben als wenig hilfreich, Jugendlichen und jungen Erwachsene im Englischunterricht eine angemessene Bildung zu bieten.
Sollte Harry Potter wirklich in den Klassenräumen Einzug erhalten, sieht der Unterrichtsplan vor, dass die Schüler "sich mit den Personen, den Tieren und den Orten der Geschichte vertraut machen". Dazu sollen sie im Unterricht "eine schriftliche Kurzcharakterisierung erarbeiten, ein kleines, immer griffbereites Referat in der englischen Sprache und ein selbstgemaltes Bild erstellen". Diese werden dann "im Unterrichtsraum aufgehängt, um leichter die unterschiedlichen Personen erinnern zu können", heißt es bei Lehrer-online. Ich sehe schon die Überschrift der nächsten Pisa- Studie: Neben Rechtschreibschwäche ist nun auch die Vergesslichkeit ein Problem der deutschen Schüler. Muss das Bilder malen wirklich sein? Dies gehört doch besser in den Kunstunterricht einer achten Klasse.
Das erste Buch Harry Potter and the Philosopher's Stone (deutsch: Harry Potter und der Stein der Weisen) ist ohnehin für Kinder von 8 bis 13 Jahren gedacht. Der Schweregrad der englischen Sprache des Originaltextes kann getrost als leicht bezeichnet werden. Worin also soll der Lerneffekt liegen? Die Schüler der elften Klasse sind mindestens 16, die der dreizehnten mindestens 18 Jahre alt. Es ist vielleicht entspannend, sich in die magischen Abenteuer des Zauberers Harry Potter zu flüchten. Um aber auf der Leistungsebene international konkurrieren zu können und auch einem eventuellen Auslandsstudium sprachlich gewachsen zu sein, sollte die gymnasiale Oberstufe einer Schule doch mehr Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihren Schülern haben. Da lässt sich nur hoffen, dass der Spuk bald vorbei ist und beim Kultusministerium die Vernunft über die Hirngespinste siegt.