Reinhard Mey

Denkarius
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Beitragvon Denkarius » Do 03 Jul, 2008 19:20

Grünauge hat geschrieben:Stimmt, authentisch ist er wirklich. Hat er nicht auch mal so einen Schlagersänger-Preis abgelehnt, mit der Begründung, er sei kein Schlagersänger sondern Liedermacher? Hihi...streitbar ist er ja schon. Aber er hat nun mal Recht: Zwischen dem Text eines durchschnittlichen deutschen Schlager und seinen Texten liegen einfach Welten.


Ja, das hat er. Er hat auch einen ziemlich treffenden Brief dazu geschrieben, dass er diese Einstufung als Beleidigung seiner Arbeit auffasst oder so ähnlich. Kann man im Internet nachlesen, ist sehr amüsant.

So für Tess hier nochmal ein anderer Text von Reinhard Mey:

Doktor Berenthal kommt

Weißt du noch, wie wir als Kinder in dem alten Bunker rumgegeistert sind?
Weil es verboten war und unheimlich und gruslig in dem dunklen Labyrinth
Und weißt du, wie ich mir die Stirn an einem Eisenträger aufgeschlagen hab'
Dass ich zu Boden ging und erst mal eine Weile keinen Ton mehr von mir gab
Und ich kauerte versteinert auf den kalten Treppenstufen
Und du bist ins Dorf gerannt, um Doktor Berenthal zu rufen
Scharf und stechend kam der Schmerz, ich fing an, wie am Spieß zu schrei'n
Um mich wurde alles rot und ich blutete wie ein Schwein
Und dann kamst du keuchend wieder und sahst mich und all das Blut:
„Hey, Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!“

Ich seh noch heute, wie die große vertraute Gestalt am Bunkereingang steht
Wie sie vor mir auf der Treppe kniet und meine Stirn mit sieben Stichen näht
Ich weiß noch, wie das Jod in meiner Wunde brannte und ich weiß noch, wie es roch
Und wenn ich's je vergessen sollte, dann erinnert mich die Narbe heute noch
Wie der Schmerz allmählich nachließ und mich weniger bedrückte
Als das Donnerwetter zuhaus, das in den Vordergrund rückte
Und er half mir aufzustehen und er nahm mich bei der Hand
Brachte mich zu meinen Eltern mit dem schaurigen Verband
Besänftigte ihr Entsetzen und er dämpfte ihre Wut
Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!

Doktor Berenthal kommt und es ist alles im Lot
Ritter ohne Furcht und Tadel, der Retter in der Not
Du musst dir nur die Worte sagen und schon fast du neuen Mut:
„Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!“

Er sah aus wie Gary Cooper in High Noon, wenn er aus seiner Praxis lief
Mit wehendem Rock, dem braunen Doktorkoffer und sein Stethoskop hing tief
Und er schwang sich auf die alte klapprige 250er NSU
Und stob wie der schwarze Ritter durch den Ort und seinen Schutzbefohl'nen zu
Und bald hörtest Du sein Ross, sich knatternd vor dem Haus aufbäumen
Und dann trat er an dein Krankenbett in deinen Fieberträumen
Er kam als du Scharlach hattest, Masern, Mumps und das und dies
Und er brachte auf die Welt, und er brachte ins Paradies
Und er brachte Trost und Wärme mit, Kampfgeist und Lebensmut
Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!

Weißt du noch wie sich das anfühlt, das eiskalte Stetoskop auf Gänsehaut
Und das Abklopfen im Rücken, ist dir die Zeremonie nicht noch vertraut?
Dies Trommeln mit gekreuzten Fingern, dessen Sinn du niemals ganz begriffen hast
Dieser Holzspatel im Mund, diesmal wirst du dich übergeben - oder fast
Du kennst alle seine Späße und diese Ablenkungswitze
Und weißt, hinter seinem Rücken hält er diese Riesenspritze
Plötzlich scheint dir seine Anwesenheit überflüssig und
Tut dir schon gar nichts mehr weh, bis du schon wieder ganz gesund
Alle Schmerzen sind verflogen, Jammern wird zu Übermut
Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!

Doktor Berenthal kommt und es ist alles im Lot
Ritter ohne Furcht und Tadel, der Retter in der Not
Du mußt dir nur die Worte sagen und schon fast du neuen Mut:
„Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!“

Du hörst seine tiefe Stimme schon im Flur, er grummelt etwas vor sich hin
Und er riecht nach Kampfer und Thymol und manchmal nach einem Verdacht von Gin
Und du siehst den großen, ausgemergelten, vom Tode gezeichneten Mann
Nur noch ein Schatten seiner selbst, der allen hilft und sich doch selbst nicht helfen kann
Und da liegt der riesengroße Kerl verlassen und verraten
Zwischen Schläuchen, Monitoren an Schnüren und Apparaten
Und du möchtest hingehn können in den grauen Kachelsaal
Und du wünschtest sehr, der alte Zauberspruch wirkte noch mal:
„Halt durch Alter, ich hol dir den Schwarzen Ritter, ruhig Blut!
Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!“

Doktor Berenthal kommt, - das ist lange her
Das Emailleschild an seinem Haus gibt es nicht mehr
Die kleine, abgewohnte Praxis steht noch immer leer
Und wo kriegst du jetzt deinen Trost und deine Zuversicht her?
Wenn das Erwachsen werden heißt, verdammt, dann ist es schwer -
Doktor Berenthal kommt nicht mehr
Amo vitam, amo generem,
tamen quare sum sola.
Amo rosam, desidero pacem
tamen quare sum sola.

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Beitragvon Denkarius » Do 03 Jul, 2008 22:23

ja, da hast du wohl Recht.

Doch zum Mitweinen gibts da von ihm noch ganz andere Lieder, da ist dieses hier noch recht harmlos. Aber ich glaube, als ich es vor 7-8 Jahren das erste Mal gehört habe, da hatte ich auch Tränen in den Augen.

Andere sehr traurige und nachdenklich machende Lieder sind z,B.

Die Kinder von Izieu,

Kaspar

oder

Erbarme dich.


Es gibt aber noch so viele andere, die mir grad nicht einfallen.
Das schöne an seinen Liedern ist, dass man alles oft 1:1 nachvollziehen kann, weil man genau so etwas oder etwas ähnliches selbst schon erlebt hat, so gefühlt und empfunden hat. Das geht mir besonders bei seinen vielen Liedern über Kinder, Kinder kriegen und Kinder haben so.
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Beitragvon Denkarius » Fr 04 Jul, 2008 02:01

Grünauge hat geschrieben:Hat er nicht auch mal so einen Schlagersänger-Preis abgelehnt, mit der Begründung, er sei kein Schlagersänger sondern Liedermacher?


So, ich hab den Brief wieder gefunden, er hat aber schon die Nominierung abgelehnt für den Echo 1999 in der Kategorie "Schlager/Volksmusik":

Reinhard Mey hat geschrieben:Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

verblüfft habe ich heute aus dem „Musikmarkt“ erfahren, dass ich für den Echo Pop 1999 nominiert bin und zwar – es sträubt sich die Tastatur – in der Sparte „Künstler „deutschsprachiger Schlager“!

Solange ich hören kann, habe ich nach Auswegen aus dem Elend des deutschen Schlagers gesucht, dessen ewig gestriges internationalen Musiktrends Hinterherhinken und dessen peinliche Anspruchslosigkeit Schuld daran sind, dass deutsche Unterhaltungsmusik bei unseren Nachbarn und in der Welt – wenn überhaupt - mit Spott und mitleidigem Lächeln bemerkt sind. Solange ich denken kann, hat es mich nach sinnvolleren Texten gedürstet, habe ich mich nach einer anderen Musik gesehnt. Aus dieser Sehnsucht heraus verschreibe ich mein Herzblut in meinen Liedern mit dem Ziel, meinen Teil dazu beizutragen, diese andere Musik zu schaffen.

Seit mehr als drei Jahrzehnten gehe ich als Liedermacher durch das Land und bemühe mich, in der kargen Dürre der deutschen Musiklandschaft die seltene, schöne, zarte Blume „Chanson“ auszusäen, zu hegen und zu pflegen!

Ich arbeite zu hart und lustvoll an meinen Texten, suche zu sorgfältig die Inhalte und feile zu leidenschaftlich an der kleinsten Wendung meiner Lieder. Ich lege zu viel Liebe und Sorgfalt in meine Arbeit im Studio und auf der Bühne, und ich verspüre eine zu hohe Achtung und Verpflichtung für das Publikum, das sie empfängt, als dass ich es hinnehmen könnte, dass sie ein Schelm oder ein Ahnungsloser im Dunstkreis des deutschen Schlagers ansiedelt. Ich verlange von mir zu viel Gradlinigkeit, ich stelle de Anspruch an mich zu hoch und ich habe zu viel Idealismus und Kampfgeist, um mich in diese Schublade stecken zu lassen.

Vielleicht wäre das ein Anlass für die Phono-Akademie, über eine Sparte „Chanson/Singer-Songwriter/Liedermacher“ nachzudenken, um auch jenem Teil der deutschen Musikszene gerecht zu werden, der sich nicht unbedingt allein an der Masse messen lässt, aber dafür einen wichtigen, künstlerisch anspruchsvollen Kulturbereich unseres Sprachraums darstellt.

Ich bedanke mich für die Absucht, meine Arbeit, mein `98er Album und die „Flaschenpost“-Tournee zu würdigen, aber ich bitte Sie mit Nachdruck, meine Nominierung in der von ihnen vorgeschlagenen Rubrik zu streichen, ich empfinde sie als Beleidigung.

Quelle: www.reinhard-mey.de


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Beitragvon kendra » Fr 04 Jul, 2008 08:23

Denki, weils grade so passt und Du den Text bestimmt auch hast - stell mal bitte "Zeugnistag" rein, das find ich auch schön :wink:
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Beitragvon Denkarius » Fr 04 Jul, 2008 11:41

Gern geschehen, liebe Tess. :)

@kendra: Zeugnistag ist natürlich ein Klassiker, den hab ich selbst meinen Kindern schon manches Mal auf der Gitarre vorgespielt und kenn den Text fast schon auswendig. Hier ist er:


Zeugnistag

Ich denke, ich muß so zwölf Jahre alt gewesen sein,
und wieder einmal war es Zeugnistag.
Nur diesmal, dacht' ich, bricht das Schulhaus samt Dachgestühl ein,
als meines weiß und häßlich vor mir lag.
Dabei war'n meine Hoffnungen keineswegs hochgeschraubt,
ich war ein fauler Hund und obendrein
höchst eigenwillig, doch trotzdem hätte ich nie geglaubt,
so ein totaler Versager zu sein, so ein totaler Versager zu sein.

So, jetzt ist es passiert, dacht' ich mir. jetzt ist alles aus,
nicht einmal eine 4 in Religion.
Oh Mann, mal diesem Zeugnis kommst du besser nicht nach Haus,
sondern allenfalls zur Fremdenlegion.
Ich zeigt' es meinen Eltern nicht und unterschrieb für sie,
schön bunt, säh nicht schlecht aus, ohne zu prahl'n!
Ich war vielleicht 'ne Niete in Deutsch und Biologie,
dafür konnt' ich schon immer ganz gut mal'n, dafür konnt' ich schon immer ganz gut mal'n!

Der Zauber kam natürlich schon am nächsten Morgen raus,
die Fälschung war wohl doch nicht so geschickt.
Der Rektor kam, holte mich schnaubend aus der Klasse raus,
so stand ich da, allein, stumm und geknickt.
Dann ließ er meine Eltern kommen, lehnte sich zurück,
voll Selbstgerechtigkeit genoß er schon
die Maulschellen für den Betrüger, das mißrat'ne Stuck,
diesen Urkundenfälscher, ihren Sohn, diesen Urkundenfälscher, ihren Sohn.

Mein Vater nahm das Zeugnis in die Hand und sah mich an
und sagte ruhig: "Was mich anbetrifft,
so gibt es nicht die kleinste Spur eines Zweifels daran,
das ist tatsächlich meine Unterschrift."
Auch meine Mutter sagte. ja, das sei ihr Namenszug,
gekritzelt zwar, doch müsse man versteh'n,
daß sie vorher zwei große, schwere Einkaufstaschen trug,
dann sagte sie: "Komm, Junge, laß' uns geh'n.", "Komm, Junge, laß' uns geh'n."

Ich hab' noch manches lange Jahr auf Schulbänken verlor'n
und lernte widerspruchslos vor mich hin.
Namen, Tabellen, Theorien von hinten und von vorn,
daß ich dabei nicht ganz verblödet bin!
Nur eine Lektion hat sich in den Jahr'n herausgesiebt,
die eine nur aus dem Haufen Ballast:
Wie gut es tut, zu wissen. daß dir jemand Zuflucht gibt.
Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast, ganz gleich, was du auch ausgefressen hast!!

Ich weiß nicht, ob es rechtens war, daß meine Eltern mich
da rausholten, und wo bleibt die Moral?
Die Schlauen diskutieren. die Besserwisser streiten sich,
ich weiß es nicht, es ist mir auch egal.
Ich weiß nur eins, ich wünsche allen Kindern auf der Welt,
und nicht zuletzt natürlich dir, mein Kind,
wenn's brenzlig wird, wenn's schiefgeht, wenn die Welt zusammenfällt,
Eltern, die aus diesem Holze sind - Eltern, die aus diesem Holz geschnitten sind!
Amo vitam, amo generem,
tamen quare sum sola.
Amo rosam, desidero pacem
tamen quare sum sola.

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Beitragvon Denkarius » Fr 04 Jul, 2008 18:28

Glückwunsch an die drei! :D
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